1. Wie war die sexuelle Situation in deiner Familie? In was für ein kulturelles Umfeld wurdest du in Bezug auf Sexualität hineingeboren? Wie würdest du das Verhalten deiner Eltern in diesem Bereich beschreiben?
Ich und meine Schwester waren absolute Wunschkinder, wir wurden geliebt und gefördert und wussten das auch. Meine Mutter war eine sehr schöne und sehr starke Frau, immer toll angezogen, sehr weiblich und geschmackvoll. Aber ich glaube, für sie war Sexualität nie schön oder erfüllend. Sex erschien mir in meiner Kindheit eher etwas Triebhaftes, Unangenehmes, Schlechtes. Das Credo meiner Mutter: Der Mann will halt (immer), die Ehefrau muss mitmachen. Am Bett meiner Eltern habe ich Kondome und ein Buch über Frigidität gesehen, bevor ich wusste, was das bedeutet.
2. Hast du dich selbst erfreut/ befriedigt als Kind? Mit was für einem Gefühl hast du das getan? Wurdest du „erwischt“? Wie wurde reagiert?
Ja. Ich glaube tatsächlich, dass ich schon sehr früh, mit drei/vier Jahren damit angefangen habe. Ich habe mich auf den Bauch gelegt, mir Kuscheltiere oder Kissen zwischen die Beine und unter das Schambein geklemmt, und mich daran gerieben. Ich habe die positiven Gefühle genossen, ohne zu wissen, was ich da tat. Ich hab das oft und viel und überall gemacht. Ich kann mich zwar nicht an ein Gespräch mit meiner Mutter erinnern, aber irgendwann war da ein Schamgefühl, und ich habe mich schlecht gefühlt. Habe es dann lieber Nachts im Bett gemacht. Aber auch manchmal bei Spielen mit Freundinnen.
3. Wer hat dich aufgeklärt?
Meine Mutter. Es war ziemlich peinlich und auch etwas ekelig, als sie sagte, der Schwanz der Männer würde dann sehr anschwellen und das Eindringen würde weh tun, und vor Vergewaltigung müsse man auf passen — und dann etwas halbherzig hinterhergeschoben, aber wenn die frau denn Mann liebe, wäre es auch ganz schön. (was nach “nicht ganz so schlimm” und überhaupt nicht glaubwürdig klang). Ich erinnere mich noch an eine Diskussion in der Schule, bei der mir ein Lehrer sagte, “Auch Frauen können Sex toll finden” und ich konnte das gar nicht glauben. Ich hatte dann mit 15 eine Freundin, und das war die erste Frau, die ich mit (Vor-)Freude von Sex hab reden hören.
4. Was für einen Eindruck hattest du in Bezug auf Sexualität, bevor du sie selbst erlebt hast?
Sexualität ist das was Männer wollen und Frauen hinnehmen. Aufpassen muss man vor Vergewaltigungen.
5. Wie hast du die Veränderungen deines Körpers in der Pubertät erlebt und wie wurde darauf reagiert?
Sie kamen spät und waren dann halt da, das war nichts Außergewöhnliches. Ich glaube, vor mir haben es die Männer wahrgenommen. Das war unangenehm.
6. Wie war deine erste Menstruation und wie wurde sie von deiner Familie aufgenommen?
Unspektakulär. Ich erinnere mich nicht mehr.
7. Wie waren deine ersten sexuellen Kontakte (intime Berührungen, Küsse etc.) / 8. Wie war das, was du für dich als den ersten “richtigen” Sex bezeichnest?
Ich hatte einen sehr tollen ersten Freund. Auch wenn ich ihn nie total geliebt habe, war er genau der richtige Mensch zu der Zeit. Wir kamen zusammen, als ich noch 16 war. Damals war ich unglaublich verklemmt, Sex war schon allein in der Vorstellung schlimm für mich, und wenn er jemals ausgesprochen hätte, dass er gerne mit mir geschlafen hätte, hätte ich ihn SOFORT verlassen. Hat er aber nicht. Statt dessen hat er mir mehr als ein Jahr Zeit gegeben. Hat sich hartnäckig aber liebevoll Zentimeter um Zentimeter Haut und Bein erarbeitet. Ich hab um alles gekämpft, aber was er “erobert” hatte, durfte er fortan anfassen. Bei einer Reise nach Berlin (zum Mauerfall) waren wir dann endlich bei nur noch Unterhose, als vier Wochen später meine Eltern mal weg waren, endlich bei Küssen und Petting. Das war schön. Irgendwann war ich dann auch endlich soweit: Ich wollte mit ihm schlafen. Das war dann zwar vor allem schmerzhaft, und ich war froh, als es vorbei war, aber stolz war ich doch: Endlich keine Jungfrau mehr. (da war ich knapp 18).
9. Wie verlief deine sexuelle Biografie von da an?
Den Sex mit meinem ersten Freund habe ich halt vollzogen, Freude hatte ich dabei nicht. Petting und Küssen hat aber Spaß gemacht. Im Studium hatte ich dann diverse Freunde, Liebschaften, One-Night-Stands und Affären. Emotional habe ich unglaubliche Sachen erlebt — Männer, die machten, dass mir die Luft weg blieb, wenn ich sie nur sah, Boden, der unter den Füßen bebte, Hingabe und Leidenschaft. Das Sexuelle kam den Gefühlen nie nach. Zwar war mein dritter Freund ein 10 Jahre älterer Mann, mit dem ich dann auch den Sex richtig gut fand. Aber ich kam beim Sex (fast) nie zum Höhepunkt. Aus Scham und der Einfachheit halber (und damit das Rumgemache auch mal irgendwann ein Ende findet), habe ich den Männern einfach immer ein bisschen sowas wie den Höhepunkt vorgemacht. Viel Schauspielkunst war dazu nicht nötig, ein paar mal heftiger Atmen, dann Entspannen — das hat eigentlich immer schon gereicht.
Mit 35 habe ich dann meinen Mann kennengelernt — die Liebe meines Lebens. Wir hatten tollen Sex (nur hatte ich keine Orgasmen), aber ich fand mich trotzdem sehr wild und befreit und habe es auch genossen. Wir haben drei Kinder bekommen. Mit der Zeit wurde es mühsam. Zum einen ist mein Mann Narzisst, und ich habe mich emotional irgendwann sehr schlecht aufgehoben, gar nicht mehr verstanden und oft niedergemacht und gedemütigt gefühlt. Sexuell hat alles, was ich gegeben habe, nie gereicht. Zu wenig, zu schlecht, zu verklemmt. Mein Mann hat mir zu Pillen und Therapie geraten. Ich habe mir große Mühe gegeben, ihm alles zu geben, aber irgendwann hatte ich das Gefühl, nicht mehr ich selbst zu sein. Hinzu kam: Je mehr ich versucht habe, ihm alles Recht zu machen, desto schlimmer wurde er. Er hatte gar keine Achtung mehr vor mir. und wenn er mich vor unseren Kindern verbal in den Dreck zog, dann machten die Kinder aus Angst vor dem jähzornigen Vater mit. Da habe ich mich dann aufgerichtet, mich von ihm erst distanziert und dann getrennt. Er hat daraufhin um eine Art WG gebeten. Und so leben wir bis heute: wegen der Kinder in einem Haus, seit fünf Jahren ohne Sex. Er gibt sich meist sehr viel Mühe, nett zu mir und uns zu sein. Trotzdem will er gerne alle bestimmen, und wenn er da ist, fühle ich mich weder frei noch bei mir. Parallel hatte ich ein paar Jahre eine Affäre mit einem verheirateten Mann. Auch den Sex mit ihm habe ich sehr genossen. Aber auch da kam ich quasi nie zum Höhepunkt, auch wenn ich ihm keinen Orgasmus mehr vorgespielt habe.
10. Wie ist dein Stand im Moment? A) In sexuellen Beziehungen/ Kontakten B) In der sexuellen Selbstliebe.
In den Wechseljahren ging mein Verlangen nach Sex oder Selbstbefriedigung drastisch in den Keller. So dass ich jetzt zwei bis vier extrem sexlose Jahre hatte, in jeder Hinsicht. Mein Mann hat im Herbst mal wieder eine Affäre mit einer Frau aus der Nachbarschaft angefangen und um da nicht immer hinzusehen, und auch um mir mal was Gutes zu gönnen, habe ich mich nun zum einen bei Tinder angemeldet (allerdings bisher ohne jemand Brauchbaren zu finden) und zum anderen mit der Therapie bei Hanna angefangen. Und bin gespannt, was kommt.
11. Gab es Geburten? Wenn ja, wie liefen sie ab?
Drei. Sie waren alle ziemlich schlimm. Ich habe eine sekundäre Wehenschwäche, weshalb ich Wehen auslösende Medikamente bekam. Das Mittel ist heute verboten. Die Wehen waren unerträglich schmerzhaft. Trotzdem war ich stolz und glücklich, meine Kinder natürlich auf die Welt gebracht zu haben. Bei meinem dritten Kind habe ich es geschafft, im Krankenhaus heimlich den Wehen-Cocktail zu nehmen — die davon ausgelösten Wehen waren um ein Vielfaches erträglicher als die bei meinen ersten zwei Kindern.
12. Hast du Erfahrungen gemacht, die du für dich als traumatisch erlebt hast, z.B. Abtreibung, Vergewaltigung, Missbrauch, Operation, medizinischen Eingriff, Sonstiges?
Ich hatte einige Situationen, die — hätte ich weniger entschlossen gehandelt — vielleicht in eine Vergewaltigung hätten münden können. Einmal hat sich auch ein Mann, mit dem ich drei Jahre zusammen war, über mein “Ich will jetzt nicht” hinweggesetzt und mit mir geschlafen, obwohl ich versucht habe, mich ihm zu entziehen. Aber am Schlimmsten finde ich eigentlich die vielen Male, die ich mit Männern geschlafen habe, ohne es wirklich zu wollen. Weil ich mich halt verpflichtet gefühlt habe, weil wenn ich schon so weit mitgegangen war, weil ich nicht prüde sein wollte. Ich habe mich manchmal wie mein eigener Zuhälter gefühlt.