Lange habe ich überlegt, wie ich anfange zu schreibe, ab welchen Zeitraum und was ist mir selber überhaupt wichtig ist aufzuschreiben und lesbar zu machen.
Bis zu meinem 15 Lebensjahr habe ich massive sexuelle, körperliche und psychische Gewalt in allen Facetten erlebt. Meine eigene Sexualität war mir völlig fremd. Ich hatte keine Ahnung wie was in mir funktioniert, warum mein Körper auf sexuelle Übergriffe reagiert hatte, obwohl ich es nicht wollte. Ich hatte Angst, dass es mir doch gefallen hat/ hatte.
Erstaunlicherweise kam meine Sexualität auch nicht in den unzähligen therapeutischen Sitzungen vor. Meine Fragen zu meinem Körper und mir wurden nicht beantwortet oder konnten nicht beantwortet werden. In stationären Settings wurde ich oft so hingestellt, dass ich den körperlichen Kontakt, wie z.B. Umarmungen, einfach verweigern würde. Verstanden hatte ich es nicht, mein Körper hat auf solche herbeigeführten Umarmungen mit absoluter Abwehr reagiert. Von da an wusste ich, dass bei mir irgendetwas völlig anders ist, als bei den anderen Frauen (ich werte niemanden auf oder ab; es ist nur meine Feststellung).
Ich habe Sexualtherapeutinnen aufgesucht, bin aber schon an dem Thema der Selbstliebe grandios gescheitert. Ich habe mich weder als Kind/ Jugendliche und Stand heute selber intim berührt. Dies funktioniert für mich nicht. Selbst Anleitungen, nur mal bewusst meine Hand in meinen „Schritt“ zu legen (mit Unterhose oder Hose darüber“) — für mich ein absolutes Nichtkönnen. Und wenn ich absolut ehrlich zu mir bin, ich wüsste auch überhaupt nicht was ich tun sollte, müsste oder könnte. Wie das überhaupt geht, wie sich dieses anfühlen müsste oder sollte.
Meine ersten selbstgewählten „sexuellen“ Kontakte zu Frauen (sexuelle Kontakte zu Männern sind für mich ausgeschlossen) waren für mich aufregend und erregend, aber auch absolut niederschmetternd zugleich. Ich wollte und konnte nicht. Mein Körper hat sich ausgeschaltet, mein Kopf hat sich ausgeschaltet, Bilder von früher, ich mittendrin und ich wollte nur noch weg. Weg von mir. Mir ist klar geworden: ich kann mit Frauen schlafen, solange ich nicht von ihnen an bestimmten Körperstellen berührt werde. Aber es ist mehr ein automatisches Tun gewesen, ohne selber ein positives Gefühl zu erleben. In diesen Momenten habe ich mir die Frage gestellt: was mache ich „hier“ eigentlich. Diese Settings funktionierten nur, wenn ich in der dominanten, beherrschenden Rolle unterwegs gewesen bin.
Diese Angst, diese massive Angst in mir, dass ich die Situation nicht mehr kontrollieren kann, die Angst, dass ich der Frau körperlich weh tue, dass ich zu grob, zu fahrig, zu schlecht, zu dämlich usw. bin. Das ich versage… diese Angst, diese erdrückte mich und oft erdrückt mich dieser Anteil noch heute.
Heute, 13 Jahre später: Ich lebe in einer Partnerschaft mit einer älteren Frau. Alles läuft ziemlich gut, nur das Thema „miteinander schlafen“ ist für mich immer noch wie eine Felswand. Ich bin der aktive Part und nicht von ihr intim berührbar. Müssen nur wollen? Nein es geh einfach nicht. Würde sie es einfach tun, wäre ich nicht in der Lage, in der Situation zu bleiben. Ich wäre nicht mehr anwesend.
Dies ist anfangs auch ohne ihre Berührungen passiert. Alles wundervoll und im nächsten Moment bin ich nicht mehr da gewesen, stellenweise bin ich auch einfach aufgestanden und gegangen. Nichts zu fühlen ist schlimmer als irgendetwas zu fühlen. Meine Selbstvorwürfe danach — schlimm. Gedanken wie „du hättest nur aushalten müssen“ sind mir durch den Kopf
geschossen.
Also brauchte ich eine Art von Hilfe, wo es um meinen Körper und mich, mich und meinen Körper geht. Wo ich einen geschützten Raum habe, einen absolut sicheren Ort, wo ich mich ausprobieren kann. Wo ich berührt werde und ich fühlen darf, ich Fragen stellen darf, um das alles mit dem Körper und mir zu verstehen.
Diesen Raum habe ich im „Tantrabereich“ gefunden. Stellte jedoch fest, als ich dieses in Therapiesitzungen ansprach, dass dort mit Unverständnis reagiert wurde, dass mir versucht wurde, dieses auszureden. Nur: wie viele Möglichkeiten gibt es wirklich, sich den eigenen Körper „zurückzuholen“ oder aber den eigenen Körper zu verstehen? Berührungen auszuprobieren. Ich habe keinen anderen Weg für mich gefunden oder gesehen und habe mich hierauf eingelassen.
Und es klappt dort wirklich. Ich kann fühlen und nicht fühlen, ausprobieren, sprechen, lachen und ich muss nicht in die aktive Rolle hinein. Und ich merke, dass die in mir tiefsitzende Angst/ Unsicherheit sich langsam aufzulösen scheint.
Dennoch kann ich das Erlebte im „Tantrasetting“ immer noch nicht auf meine Sexualität mit meiner Freundin übertragen. Dies macht mich traurig und lässt mich verzweifeln. Der Punkt ist die Angst oder der Druck in mir.
Zum Thema Pubertät und Menstruation: Pubertät habe ich gar nicht erleben können oder mir ist die Zeit absolut nicht bewusst. Natürlich habe ich Veränderungen an meinem Körper gemerkt. Mit meiner Brust konnte ich überhaupt nichts anfangen, ich wollte nicht, dass sie da ist. Brust bedeutete für mich irgendetwas mit schlecht sein, nicht mehr geeignet. Jetzt habe ich Brust und ich weiß nicht, ob sie mir gefällt oder nicht. So einen richtigen Bezug zu ihr habe ich nicht. Aber ich kann meine Brust zumindest ohne Ekelgefühl anfassen.
Meine Menstruation begann erst mit 18 (glaube ich). Sie war einfach da und für mich war das eigentlich ein positives Zeichen, nämlich dass ich mich körperlich
erhole. Regelmäßigen, entspannten Zyklus hatte ich noch nie. Entweder sie
kommen monatelang nicht, oder wie jetzt gefühlt ständig. Irgendetwas ist da
noch nicht so stimmig.
Wer mich aufgeklärt hat? Eine eigentlich ziemlich leichte Frage, aber irgendwie für mich gar nicht. Nein ich wurde nicht aufgeklärt, es wurde mir nichts erklärt,
sondern einfach mit mir gemacht. Im Schulunterricht bin ich bei dem Thema
raus gerannt und habe mich mehrfach übergeben.
“Splitterfasern” sind ein Blog, in dem Menschen anonym Texte zu ihrer sexuellen Biografie hochladen.
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