1. Wie war die sexuelle Situation in deiner Familie? In was für ein kulturelles Umfeld wurdest du in Bezug auf Sexualität hineingeboren? Wie würdest du das Verhalten deiner Eltern in diesem Bereich beschreiben?
Mit Sexualität wurde ich bis zu meiner Periode mit 14 Jahren zu Hause nie konfrontiert. Lingam vom Vater habe ich gesehen. Immer wenn ich ihm beim Anziehen half (er hatte eine steife Hüfte) oder in der Badewanne. Dies hatte für mich keinen Bezug zu Sexualität. Auch meine erste Periode hatte keinen Bezug zu Sexualität, nur dass meine Mutter mir gesagt hatte, dass ich nun Frau geworden sei, und mich daher vor den Männern in Acht nehmen müsste. Ich wusste nicht warum, und fragte nicht nach.
2. Hast du dich selbst erfreut/ befriedigt als Kind? Mit was für einem Gefühl hast du das getan? Wurdest du „erwischt“? Wie wurde reagiert?
Ich onanierte früh im Bett. Die brutalen biblischen Geschichten, die ich lesen musste für die Sonntagsschule, erregten mich sehr, das war der Grund, warum ich diese Geschichten gern las, wie zum Beispiel «Daniel in der Löwengrube». Ich onanierte, aber wusste nicht, dass das etwas mit Sexualität zu tun hat. Es war einfach schön. Nur im Bus oder sonst in der Anwesenheit von anderen Menschen durfte ich meine Hände nicht zwischen meinen Beinen halten, und das hat mich noch mehr erregt. Hatte aber keine Idee, warum.
3. Wer hat dich aufgeklärt?
Nachdem ich meine Periode bekommen hatte, wurden wir 4 Geschwister (Bruder 14, ich 13, junger Bruder 12, Schwester 10) informiert, über Ei und Samen, deren Verschmelzung und das daraus entstehenden Kind. Ich fragte, wie kommt der Samen zum Ei? Alle lachten und meine Mutter erklärte mir, dass ich das dann schon verstehen würde, wenn der richtige Moment gekommen sei.
4. Was für einen Eindruck hattest du in Bezug auf Sexualität, bevor du sie selbst erlebt hast?
Ich kannte das Wort nicht.
5. Wie hast du die Veränderungen deines Körpers in der Pubertät erlebt und wie wurde darauf reagiert?
Ich musste sofort Büstenhalter und Korsett anziehen, was sehr unangenehm war. Ich hasste dies, aber das musste ich anziehen, weil sonst jede Frau aus der Form kommt; Hängebrüste und Hängebauch bekommt. Ich genierte mich auch beim Umziehen in der Turngarderobe.
6. Wie war deine erste Menstruation und wie wurde sie von deiner Familie aufgenommen?
Ich hasste die Binden. Empfand alles als unangenehm. Wir sprachen nicht darüber, nur dass ich jetzt eine Frau sei, und dass es so wehleidige Frauen gebe, die meinten, wenn sie die Periode haben, nicht mehr Arbeiten oder Turnen zu können. Das seien keine Frauen, sondern verwöhnte Damen.
7. Wie waren deine ersten sexuellen Kontakte (intime Berührungen, Küsse etc.)
Bis ins Alter von ca. 28 Jahren ließ ich keine Berührung von Männern zu. Ich wusste wohl, dass ich von einem Kuss kein Kind kriege, aber ich glaubte, wenn Frau eine Berührung zulässt, muss sie auch bereit sein zu einer Penetration, sonst wird das für beide sehr gefährlich. Der Mann kann aggressiv werden oder auch einen Schlaganfall kriegen, so hatten wir dies in der Ausbildung zur Pflegefachfrau (Krankenschwester) im Jahr 1972 gelernt.
8. Wie war das, was du für dich als den ersten “richtigen” Sex bezeichnest?
Das war ziemlich schön, vor allem weil ich einen guten Freund von meinem älteren Bruder verführt hatte. Dadurch glaubte ich mein Wert gegenüber meinem Bruder zu verbessern. An den Sex selber kann ich mich nicht mehr erinnern.
9. Wie verlief deine sexuelle Biografie von da an?
Ich war Magersüchtig ab 15 Jahren. Als Kind hatte ich unter Fettleibigkeit gelitten.
Meine Menstruation hat bereits nach 1 Jahr ausgesetzt. Ich wurde über Jahre mit der Monatspille abgefüttert, später dann mit der Monats-spritze, bis ich diese aus eigenen Kräften verweigert hatte. Ich litt nicht, dass ich keine Menstruation hatte, es war nicht normal und das hat mich gestört.
Ich knutschte etwa mit Männern vor allem mit Randständigen (Obdachlosen und/ oder Suchtabhängigen). Ich war damals in der Obdachlosenarbeit tätig. Später kam noch die Brechsucht dazu. Ich habe mich immer mehr isoliert, nur noch das Allernotwendigste gearbeitet, um nicht in die Sozialhilfe und damit in eine Abhängigkeits-Mühle hineinzugeraten. Ich hatte unterschiedliche Therapien ausprobiert; keine hat mir wirklich geholfen. Sexualität lebte ich nur für mich allein. Ich litt etwas darunter, dass ich noch kaum sexuelle Erfahrungen hatte und nicht wusste, wie eine Penetration ist, und davor auch etwas Angst hatte, auch Angst, nicht zu genügen.
Im Alter von 36 Jahren, beendet ich aus eigenen Kräften meine Anorexie. Ließ mich sterilisieren, da ich mich entschied, als alleinstehende Frau zu leben, mich nicht binden wollte und mir nehmen wollte, wozu ich Lust hatte.
Es begann eine Zeit, in der ich wieder Leben, Freude und auch sexuelle Lust in mir fühlte. Ich probierte viel aus. Die Menstruation setzte wieder ein. Ich kam aus meiner Isolation heraus.
10. Wie ist dein Stand im Moment? A) In sexuellen Beziehungen/ Kontakten B) In der sexuellen Selbstliebe.
A) Ich lebe seit 32 Jahren in einer sehr schönen Partnerschaft. Seit ca. 3 Jahren tauschen wir nur noch herzliche Berührungen aus, nicht im intimen Bereich und ohne Sex. Wir leben monogam. Ich selber hatte das andere über 5 Jahre sehr intensiv gelebt, und verzichte darauf, da mir unsere Partnerschaft sehr wichtig und wertvoll ist, und ich diese nicht für eine andere sexuelle Begegnung, riskieren möchte. Ich bin auch nicht sicher, ob es mir wirklich Freude machen würde, wenn ich weiß, dass dies nur einmalig sein kann und eine Verliebtheit, parallel zu der Partnerschaft, diese überfordern würde. Ich lebe jedoch viele wertvolle und herzliche Beziehungen auch zusammen mit meinem Partner zu vielen lieben Freund*Innen. Mein Partner und Ich suchen immer noch nach Wegen, ob eine neue Sexualität für uns noch möglich sein könnte. So besuchten wir im Feb. 2022 auch ein Coaching zum Thema «Achtsam Lieben»
B) Die sexuelle Selbstliebe war und ist mir immer sehr wichtig. Ich bin immer noch sehr neugierig auf neue Impulse und Anregungen. So habe ich mir zu meinem 70ten Geburtstag einen Womanizer geschenkt und mit 72 die erste Tantra Massage.
11. Gab es Geburten? Wenn ja, wie liefen sie ab?
Nein, ich ließ mich im Alter von 36 sterilisieren.
12. Hast du Erfahrungen gemacht, die du für dich als traumatisch erlebt hast, z.B. Abtreibung, Vergewaltigung, Missbrauch, Operation, medizinischen Eingriff, Sonstiges?
Ja.
“Splitterfasern” sind ein Blog, in dem Menschen anonym Texte zu ihrer sexuellen Biografie hochladen.
Die Startseite mit der Möglichkeit zum Mitmachen findest du hier: https://hannakrohn.de/splitterfasern/