Splitterfasern 8: Biologisch gesehen macht Sex nur den Männern Spaß
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Splitterfasern 9: Aus der Sprachlosigkeit und Ohnmacht der Eltern auf dem Weg zum eignen Ausdruck und zur Erlaubnis für meine Sexualität

Meine Eltern sind auf­grund ihrer eige­nen Geschichte in dem Aus­druck von Liebe, Zärtlichkeit und Zunei­gung hil­f­los, sprach­los und in sich gefan­gen. Fotos über ihr Ken­nen­ler­nen, zeigen die Scham aber auch die Ver­liebtheit der bei­den damals jun­gen Erwach­se­nen wie pubertierende Jugendliche. Sie zeigen sich spielerisch mit Fäusten und neck­en sich gegen­seit­ig. Jedoch gibt es kein Foto, dass eine zärtliche Berührung zeigt. Auch in der Phase dieser jun­gen Liebe.

Kurz nach­dem sie zusam­men waren, bekam meine Mut­ter Gebär­mut­terkrebs. Es musste alles ent­fer­nt wer­den. Die Ohn­macht der bei­den hat­te sich wie ein Schw­ert tren­nend zwis­chen sie gelegt. Unter Trä­nen erzählen mir heute einzeln mal Paps in einem Neben­satz, mal meine Mut­ti, dass Sex­u­al­ität, aber auch Berührung — egal ob in Worten oder physisch — ab da nicht mehr stat­tfand. Also gefühlt seit dem Zeit­punkt, seit dem sie sich kan­nten. Somit bin ich in ein­er Umge­bung groß gewor­den, in der ein trüber Schat­ten über einem unaus­ge­sproch­enen The­ma in der Luft lag. Die Starre, diese Scham habe ich vor allem bei Fil­men gemerkt, bei denen meine Eltern bei Kussszenen regelmäs­sig zu Salzsäulen erstar­rten. Für mich gab es wed­er Zunei­gung noch kör­per­liche Nähe.

So kon­nte ich ein­mal beobacht­en, wie mein Paps mein­er Mut­ter einen Schmatzer auf dem Mund gab bevor er zur Arbeit ging und ich war irri­tiert darüber, ja fast schon erschrock­en. Was war das denn? Das ist auch die einzige Berührung, die ich zwis­chen den bei­den jemals gese­hen habe. Und dem­nach gab es auch keine Gespräche über Sex oder auch was mit meinem Kör­p­er in der Pubertät passiert. Ich hat­te ein Comicbuch zu Hause, das ich eifrig, aber heim­lich studierte. Eine Fre­undin von mir hat­te die Bra­vo. Ich durfte sie mir sel­ber nicht kaufen.

Im Klei­der­schrank lag ein Stapel dick­er Binden, welche meine Mut­ter mit dem Satz “Wenn es dann los­ge­ht, kannst du dir hier Binden nehmen” dort hin­gelegt hat­te. Am Tag mein­er ersten Peri­ode hat­te ich riesen­große Angst, mein­er Mut­ter davon zu erzählen. Ich habe mich geschämt und hätte mir so sehr eine Umar­mung gewün­scht, beruhi­gende Worte.

Mit 16 hat­te ich dann meinen ersten Fre­und. Meine damals beste Fre­undin hat­te mich mit zu ihrer Frauenärztin genom­men um mir die Pille ver­schreiben zu lassen. Da ich Akne hat­te, war das der offizielle Grund dafür. Meine Mut­ter meinte beiläu­fig: “Du weisst schon, dass das auch … für was anderes ist?” Sie kon­nte es sich auch nicht nehmen lassen, die Eltern von meinem Fre­und zu kon­tak­tieren, dass sie doch bitte kon­trol­lieren soll­ten, dass wir in getren­nten Bet­ten schliefen, als ich dort im Urlaub zu Besuch war. Haben wir natür­lich nicht.

Das erste Mal war ver­bun­den mit ein­er Neugi­er und vie­len Äng­sten. Wirk­lich gesprochen haben wir nicht. Irgend­wie gehörte es dazu zu dem Gefühl erwach­sen sein zu wollen. Es war jedoch eher ein “Was-gefällt-ihm-wohl” Gedanke, als ein “was-mag-ich-eigentlich”. Und das war auch in der Part­ner­schaft danach der rote Faden. Ich habe es gemacht, weil es dazu gehört und eine gute Fre­undin, bzw. attrak­tive Frau ja auch nie zu sparsam sein sollte mit ihren Reizen.

Und so habe ich natür­lich schon auch mit Lust und dem ein oder anderen Orgas­mus eine Sex­u­al­ität gelebt, die mehr mein Gegenüber im Fokus hat­te. Aus Angst, prüde zu wirken, habe ich oft mich recht schnell überzeu­gen lassen, mit Män­nern intim zu wer­den. Für mich immer mit dem Gedanken, es könne mehr daraus entste­hen. Benutzt wor­den zu sein und immer wieder abgewiesen wor­den zu sein, als reines sex­uelles Objekt wahrgenom­men zu wer­den von Män­nern unter­schiedlichen Umfeldes, mit Kind, ver­heiratet, im Rentenal­ter, unter­schiedlich­er kul­tureller Hin­ter­grund, hat dann let­z­tendlich dazu geführt, dass ich mich völ­lig ver­schlossen habe.

Meine eigene Sprachlosigkeit hat dazu geführt, dass die sex­uellen Begeg­nun­gen außer­halb von Part­ner­schaft so ernüchternd waren und für mich so wenig mich wertschätzend waren, dass ich lei­der den Män­nern abgeschworen hat­te. Ich weiß heute von mein­er Angst vor Berührung und Nähe und öffne mich langsam wieder vor­sichtig … als allererstes für mich. Denn einem erfüll­ten “wIr” geht ein in Fülle seien­des “ich” voraus. Und ich habe diesen Wun­sch tiefer, tiefer Berührbarkeit und Berührung in ein­er Begeg­nung mit einem Mann und ich möchte dies in einem für mich sicheren Rah­men ein­er Beziehung erfahren. Ich durfte in meinen let­zten Beziehungsver­suchen erleben, wie Sex­u­al­ität sein kann, wenn zwei Men­schen bere­it sind, sich hinzugeben und nicht zu per­for­men, wenn zwei Men­schen sich fließen lassen, ohne ein Pro­gramm ablaufen zu lassen. Es waren drei wun­der­schöne Erleb­nisse, die mir Hoff­nung geben, Mut machen und vor allem Appetit auf das, was Sex­u­al­ität für mich wirk­lich bedeutet — ein sich voll und ganz ein­lassen auf mein Gegenüber.

Und um aus mein­er tiefen Sehn­sucht in eine leb­bare Real­ität zu gelan­gen, lege ich Schicht für Schicht die Scham ab, sex­uelle Bedürfnisse zu haben, erlaube mir die Sehn­sucht nach Lust einzu­laden und öffne mich für die Mutwelle, es real im Leben zu erleben. Und auch wenn ein Teil in mir darüber weint, die besten Jahre, in denen der Kör­p­er vor Energie nur so strotzt, in reinen Traumwel­ten gelebt zu haben, mit weni­gen Aus­nah­men nur Sex mit mir gehabt zu haben, stimmt es mich den­noch opti­mistisch, dass die große Torte auf mich noch wartet. Und ich weiß jet­zt schon, dass sie durch die Arbeit an mir sel­ber, durch meine heutige Sicht auf mich, mein mir-wirk­lich-nahe-sein, die beste Torte sein wird, die ich bish­er ver­nascht habe und dass vor allem ein ganzes Buf­fet sich dort aufbaut.

Noch ver­schlägt es mir in Gegen­wart attrak­tiv­er Män­ner jedoch die Sprache. Mein inner­sten Wun­sch, mich sex­uell im Rah­men eine Beziehung auszupro­bieren, macht die Auswahl nicht wirk­lich ein­fach­er. Würde ich mich jedoch auf eine Affäre ein­lassen, hätte es das schale Gefühl mein­er sex­uellen Erleb­nisse davor und das möchte ich defin­i­tiv nicht mehr, zumin­d­est denkt es derzeit noch so in mir.  Und so übe ich mich in Geduld, in Selb­stan­nahme und Selb­stliebe, und in Sprache über Nack­theit, sex­uelle Lust und meine Bedürfnissen.