Meine Kindheit hat in den 80er Jahren auf dem schwäbischen Dorf stattgefunden.
Auch meine Eltern sind auf dem Land bzw. in der Kleinstadt aufgewachsen, haben in den späten 60er Jahren studiert und ich habe sie vordergründig als sehr liberal wahrgenommen. Alle Türen im Haus, auch die vom Bad, standen immer offen, Nacktsein (und auch voreinander aufs Klo gehen) war etwas ganz Natürliches. Mit Sexualität habe ich das Nacktsein bis zu meiner Pubertät nicht so sehr in Verbindung gebracht.
Mein Vater hat in jeder freien Minute gelesen. Es gab in unserem Haus wirklich sehr viele Bücher aller Genres und immer viele Zeitungen und Zeitschriften. Im Bücherregal waren auch Comics mit nackten Frauen und teilweise explizit sexuellen Inhalten (Pat Mallet / U Comix) und natürlich auch viel Literatur, in der es um Sex ging. Darin habe ich mich als Jugendliche, aber auch schon als Kind immer wieder vertieft.
Mein erster richtiger Freund hat halb bei uns gewohnt, als ich 16 war, und er durfte bei uns rauchen und sogar kiffen. Meine Mutter hat mich zum Frauenarzt geschickt, um mir die Pille verschreiben zu lassen, aber über Sex und Gefühle gesprochen hat sie nie mit mir.
Einmal, da war ich vielleicht 6, hatte ich bei meinen Großeltern nebenan übernachtet und wollte frühmorgens meine Eltern überraschen. Das hab ich dann auch. Meine Mutter saß nackt auf meinem Vater und ist auf und ab gehüpft, und das war für mich etwas seltsam und verstörend. Ich hab mich dann zurückgezogen und sie haben aufgehört und nach mir geschaut, aber mit mir über die Situation gesprochen hat niemand. Sie haben einfach so getan, als sei nichts gewesen. Ich habe mich danach bedrückt gefühlt und auf eine ungewohnte Art abgeschnitten. Auch als mal Kondome neben dem Ehebett lagen und meine Mutter mich dann (sehr nervös und verklemmt) darüber aufgeklärt hat, wofür die da sind, hat mich das extrem befremdet und bedrückt zurückgelassen. Ich hatte das Gefühl, dass ich gleichzeitig zu viel und viel zu wenig erfahren hatte, und irgendwie hatte das Gespräch nichts Natürliches an sich.
Meine Eltern waren zwar nicht verklemmt, aber es war ihnen gleichzeitig sichtlich unangenehm, über Sex zu sprechen. Zumindest, wenn es nicht abstrakt war oder in Witzform (das ging immer), sondern wenn um sie selbst ging. Generell wurde in unserem Haus nicht über Gefühle gesprochen, und meine Eltern erschienen mir deshalb trotz einer gewissen Verlässlichkeit (sie haben sich um mich gekümmert) oft unerreichbar.
Viel Zeit habe ich im Nachbarhaus bei meinen Großeltern verbracht. Dort habe ich am Wochenende oft übernachtet und unter der Woche fast jeden Tag zu Mittag gegessen. Wenn ich dort war, durfte ich am Fußende des Ehebetts auf einer Matratze schlafen und meine Großmutter hat Geschichten von früher erzählt. Meine Großeltern waren sehr evangelisch. Sie trugen lange Flanellschlafanzüge und ‑nachthemden, haben im Winter umhäkelte Messingbettflaschen mit heißem Wasser mit unter die Daunendecken genommen, weil man aus Sparsamkeit nicht alle Räume geheizt hat, und haben sich gegenseitig “Vater” und “Mutter” genannt. Das war dort eine ganz andere Atmosphäre als bei meinen Eltern drüben. Mein Großvater war mit sich beschäftigt und lag viele Jahre lang nur auf dem Sofa ohne in Interaktion zu gehen. Ich denke, er ist als sehr junger Mann schwer traumatisiert aus dem Krieg zurückgekehrt und konnte nie darüber sprechen. Bei meiner Großmutter, die immer am Schaffen und Werkeln war, war der Platz, an dem ich mich in meiner Kindheit am wohlsten und aufgehobensten gefühlt habe. Auch wenn man mit ihr noch viel weniger über Gefühle und dergleichen reden konnte als mit meinen Eltern. Aber bei ihr hatte ich auch nicht das Bedürfnis. Ihre Liebe und Fürsorge zeigte sich in Form von Pfannkuchen und Grießbrei und verlässlichen Regeln. Sie war irgendwie präsenter und greifbarer als die anderen Erwachsenen und hat mir viel Halt gegeben.
Im Rückblick sehe ich, dass meine Eltern sich sicherlich ein gutes Stück aus den Zwängen ihrer Erziehung befreit haben, dass sie aber nicht die Möglichkeiten hatten (oder sie zumindest nicht genutzt haben), sich tiefer mit sich selbst, ihren Gefühlen, ihrer Herkunft, den Kriegserfahrungen ihrer Eltern und ihren eigenen Verstrickungen zu beschäftigen.
Auf intellektueller und politischer Ebene, im Denken war vor allem mein belesener Vater immer offen und halbwegs progressiv. Meine Mutter hat sich wenig mit irgendwelchen Zusammenhängen auseinandergesetzt, hat aber immer eine bildungsbürgerliche Haltung vor sich hergetragen, die ein Stück weit auch dünkelhaft war (ständig musste man besser sein und sich abgrenzen: von den Neureichen, die im Tennisclub waren, von den Pietisten im Dorf, von Familien mit klassischer Rollenaufteilung, von Hausfrauen, von Nicht-Akademikern, von Nachbarn die mal laut gestritten haben, … ). Oft hab ich den Satz gehört: “Die sind kein Maßstab für uns”.
Auf emotionaler Ebene, in der Beschäftigung mit sich selbst und im Zwischenmenschlichen haben beide vermutlich wenig Bildung erfahren und Hilfestellung in Anspruch genommen, und da waren sie dann doch auch konservativer als sie es vermutlich sein wollten. Es kam z. B. trotz vieler Probleme in ihrer mehr als 50 Jahre andauernden und vor allem im Alter recht unglücklichen Ehe nie zur Trennung, und zwar in allererster Linie aus Respekt vor ihren eigenen Eltern. Diese Diskrepanz zwischen Fortschrittlichkeit und Reaktionismus, die ich jetzt erkenne, habe ich als Kind manchmal gespürt und sie hat mich sehr beklommen gemacht. Ich kann nicht genau beschreiben, was daran und warum. Aber ich glaube, es hat etwas damit zu tun, dass ich mich stark an ihnen und ihren Werten orientiert, sie aber auf manchen Ebenen als widersprüchlich, sehr hilflos, unfrei und unerwachsen wahrgenommen habe.
Meine Mutter noch mehr als meinen Vater. Er war halt schweigsam und rational, aber hat trotzdem Zuneigung und starken Rückhalt ausgestrahlt, wenn auch nie (wirklich nie) ausgesprochen. Sie war irgendwie unzugänglich und stets mit sich oder ihrer Arbeit oder sonstigen Aufgaben beschäftigt, die sie sich geschaffen hat. Mit meinen Fragen, Gefühlen und zahlreichen Ängsten war sie heillos überfordert und hat jegliches tiefergehende Gespräch und somit auch die Chance auf Austausch oder Nähe abgeblockt. Ich habe sie nie als mütterlich wahrgenommen. Gleichzeitig war sie sehr fordernd, hat viel Aufmerksamkeit gebraucht und hat irgendwie immer ausgestrahlt, dass sie selbst bemuttert werden muss, was ich dann auch oft getan habe.
Ich hab mich schon sehr früh (ungefähr mit 7) regelmäßig und gerne befriedigt. Ich hab immer darauf geachtet, dass ich alleine war und nicht beobachtet werden konnte. Ich wollte meine Ruhe und das genießen. Das war für mich durchweg schön und mit keinerlei schlechtem Gewissen oder Scham verbunden. Ich hab mich rittlings auf die Sofalehne gesetzt oder mir ein Kissen oder in der Badewanne den Duschschlauch zwischen den Beinen hin- und hergezogen. Eingeführt habe ich mir nichts, weder meine Finger noch sonst etwas. Ich kam gar nicht auf die Idee, weil die äußerliche Berührung schon so befriedigend war. Gerne hab ich meine Brustwarzen berührt, nachdem ich festgestellt hatte, dass das ein wunderbares Gefühl erzeugt, das direkt zwischen meinen Beinen ankommt.
Selbstbefriedigung hat mich entspannt und mir gut getan. Teilweise war es rein körperlich, manchmal habe ich mir auch Szenarien vorgestellt, in denen meist unsympathische Männer aus unserer Nachbarschaft oder Lehrer vorkamen und mich beobachtet oder berührt haben. Es waren immer Szenarien, in denen ich ein passives Sexobjekt war. Das hat mich wahnsinnig erregt, aber nach dem Orgasmus hat es mich dann doch manchmal peinlich berührt.
Penetrativer Geschlechtsverkehr (und auch Penisse) kamen in meinen Phantasien nie vor, ich habe da gar keinen Zusammenhang hergestellt, bis es mir eine Freundin beim Doktorspielen erklärt hat. Und selbst da und auch danach hatte ich erst mal keine richtige Vorstellung davon und kein Interesse daran.
Mit 12 hatte ich eine Phase, in der ich viele Ängste und Zwangsgedanken hatte. Da hab ich mich auch mal in den Gedanken reingesteigert, dass Selbstbefriedigung was Schlimmes sein könnte. Ich hab meine Mutter darauf angesprochen in der Hoffnung, eine beruhigende Antwort zu erhalten. Sie war sichtlich überfordert und hat nervös geantwortet, da müsse ich meinen Vater fragen, der würde sich da besser auskennen. Diese Antwort war für mich unbefriedigend, ein wenig verstörend und im Rückblick habe ich sie ihr auf mehreren Ebenen übelgenommen. Inzwischen befürchte ich, dass sie tatsächlich keine Antwort darauf wusste, weil sie die Erfahrung womöglich nie gemacht hat. Aber vielleicht täusche ich mich auch.
Meine Mutter hat mich ziemlich verklemmt aufgeklärt, als ich schon längst alles wusste. Bei Freunden gab es die Bravo, bei meiner besten Freundin die Bücher Zeig mal! und Zeig mal mehr!, worin ich mich immer wieder gerne vertieft habe.
Ich war mit dieser Freundin von meinem ersten Lebensjahr bis zum Abitur dick befreundet, aber über Sex unterhalten haben wir uns nie. Auch mit meinen anderen Freundinnen waren unsere Sexualität und sexuelle Erfahrungen, bis ich 18 oder 19 war, nie ein Thema, über das wir uns ausgetauscht haben.
Ich hab sehr gerne heimlich Softpornos im Fernsehen geschaut. Wir hatten kein Kabelfernsehen, aber ich habe schon früh babygesittet, und bei den Freunden meiner Eltern gab es alle Sender und mir haben sich wunderbare Möglichkeiten eröffnet, sobald die Kinder geschlafen haben. Ich war vielleicht 12 und das hat mich unglaublich erregt. Vor allem nackte Brüste, deshalb fand ich auch Tutti Frutti toll. Womit ich mich auch eingehend beschäftigen konnte, waren die Pat Mallet Bücher mit den kleinen grünen Männchen aus dem Bücherregal meiner Eltern. Auch hier haben mich weniger die grünen Pimmel als die Brüste der Frauen interessiert. Ich hab mir immer vorgestellt, es wären meine eigenen und das hat mir gefallen.
Langsam hat mir auch gedämmert, dass man den Penis in die Scheide und anderswo reinstecken kann, das war in den U‑Comix meines Vaters mehr als explizit dargestellt, aber interessiert oder angemacht hat es mich in dem Alter immer noch nicht. Das hatte nichts mit meinen sexuellen Phantasien zu tun, in denen es nach wie vor nur ums Angefasst- und Angeschautwerden ging.
Die Stories in den Pornos waren so bescheuert, dass mir schon klar war, dass es so nicht abläuft in der Realität.
Mit 8 oder so hatte ich schon Ben liebt Anna von Peter Härtling und mit 10 oder 11 einige Jugendbücher von Christine Nöstlinger gelesen, in denen es auch um erste sexuelle Erfahrungen ging, da hatte ich eine leise Ahnung davon bekommen, dass Gefühle und Sexualität verknüpft sein können. Das fand ich aufregend!
Mit 14 hab ich sehr begeistert Salz auf unserer Haut gelesen und in der selben Zeit den Film Der gezähmte Widerspenstige mit Adriano Celentano und Ornella Muti gesehen. Beide Darstellungen von Beziehungen haben mich begeistert und vor allem emotional sehr berührt. Im Rückblick denke ich, dass meine Vorstellung von leidenschaftlicher Sexualität, aber auch von leidenschaftlicher Liebe sehr von Geschichten wie diesen geprägt wurden.
So mit 12 habe ich in einer herumliegenden Spiegel-Ausgabe einen Artikel über sexuellen Missbrauch gelesen, der mich sehr unangenehm berührt und doch irgendwie in seinen Bann gezogen hat. Etwa zeitgleich sind mir Kurzgeschichten von Charles Bukowski in die Hände gefallen, in denen Missbrauch aus Tätersicht beschrieben wurde. Das Thema ging mir lange Zeit nicht mehr aus dem Kopf und hat mich sehr bedrückt. Als ich mit meiner Mutter darüber reden wollte, hat sie abgeblockt. Ich habe in dem Alter dann vorübergehend eine sehr verklemmte Phase entwickelt und Sex als etwas absolut Schlechtes eingeordnet. Den Bereich kurz vor der Kasse im Supermarkt konnte ich nur noch mit geschlossenen Augen durchqueren, weil da die Praline und andere Hefte mit nackten Frauen auslagen. Ich wollte nicht über Sex nachdenken, aber habe in allem noch so Alltäglichen etwas Sexuelles gesehen, und diese Fixierung hat mich total gestresst. Ich habe kurzzeitig auch die zwanghafte Vorstellung entwickelt, dass auch ich sexuell missbraucht worden sein könnte und hatte dabei andauernd andere Erwachsene aus meinem Umfeld im Verdacht, was ich einmal meiner Mutter anvertraut habe, die darauf nicht eingegangen ist.
Zwangsgedanken und Ängste in Bezug auf alle möglichen Themen sind mir ab diesem Zeitpunkt meine ganze Jugend über und noch in mein Erwachsebenleben hinein erhalten geblieben, aber meine Sexualität, die mir doch so lieb und teuer war, war nach dieser kurzen Episode zum Glück wieder frei davon.
Ich kann mir heute vorstellen, dass sexueller Missbrauch in unserer Familie ein unausgesprochenes und mit Trauma verbundenes Thema ist, kann das aber überhaupt nicht einordnen und habe auch keinerlei konkrete Hinweise darauf. Ich bin mir sicher, dass ich keinen erlebt habe, aber das Thema beschäftigt mich immer noch so stark. Ich lese viel darüber und habe das Gefühl, dadurch irgendetwas durchdringen zu wollen, was ich diffus wahrnehme.
Ich habe relativ früh, vielleicht so mit 11, Achselhaare und Schamhaare bekommen. Das war mir irgendwie peinlich. Die einzigen Personen, die das kommentiert haben, und zwar ausgenommen unsensibel und übergriffig, waren im Garten eine Freundin, die noch keine hatte, und im Bad im Skihotel meine Mutter, die belustigt bemerkte, ich hätte ja schon mehr als sie. Beides war mir äußerst unangenehm. Brüste hab ich erst später bekommen. Ich kann mich nicht mehr daran erinnern, wie ich das fand.
Generell war ich sehr dünn, was auch ständig besorgt von meiner Mutter kommentiert wurde (später dann nach der Pubertät war sie ebenso besorgt darüber, dass ich dick wurde). Ich habe mir keine Gedanken über mein Gewicht und meine Figur gemacht.
Ich mochte meinen Körper gerne, hatte aber nicht so eine richtige Beziehung zu ihm außerhalb der Selbstbefriedigung, da ich keinen Sport getrieben habe und eher verkopft und ständig mit Lesen und Zeichnen beschäftigt war.
Ich hab mit 15 das erste Mal meine Tage bekommen, aber so genau weiß ich das nicht mehr. Jedenfalls war ich deutlich später dran als die meisten meiner Freundinnen und durch ihre Erfahrungen schon etwas darauf vorbereitet. Meine Mutter hat mich pragmatisch mit Hygieneprodukten ausgestattet (Tampax mit Einführhilfe) und mich nach ein paar Monaten darauf hingewiesen, dass ich nicht jedes Mal nach dem Duschen die Handtücher versauen, sondern vor dem Abtrocknen Klopapier benutzen soll, wenn ich menstruiere. Es war unspektakulär.
Mit 14 hatte ich meinen ersten Freund. Er war 18, hatte einen Führerschein und ich kannte ihn aus dem Schulorchester, wo er Pauke spielte und ich Cello. Verliebt war ich nicht, aber neugierig. Und so hab ich die Chance ergriffen, als sie sich bot und er sich für mich interessiert hat. Wir haben uns ein halbes Jahr lang getroffen und eigentlich nichts anderes zusammen unternommen als entweder bei mir oder bei ihm zu Hause rumgemacht. Meine Mutter war Lehrerin an der Grundschule, seine am Gymnasium, und sie kannten sich entfernt von der Arbeit. Deshalb und weil er so ein grundvernünftiger Typ war, war es für meine Eltern ok, dass wir uns trafen, obwohl ich noch so jung war. Er konnte gut küssen und mich allein mit seiner Zunge in meinem Mund extrem erregen. Jegliche Initiative ging von ihm aus, ich war aber auch nicht direkt passiv, sondern eher reaktiv. Er hat mir über viele Monate (erst über dem einzigen BH, den ich hatte und immer angezogen hab, und später auch darunter) unglaublich ausdauernd die Nippel gestreichelt. Manchmal ganz konzentriert, während wir uns geküsst haben, aber oft auch eher beiläufig beim Filmeschauen. Das war aufregend, hat mich sehr feucht gemacht und dabei bin ich regelmäßig gekommen, teilweise ohne jegliche weitere Berührung. Ich hab mich auch gerne angezogen auf ihn gesetzt und durch seine Jeans seine Erektion gespürt, an der ich mich gerieben habe. Auch so bin ich oft gekommen. Ihn anzufassen wäre mir nicht möglich gewesen. Ich hatte große Sorge, etwas falsch zu machen und hab mich nicht getraut nachzufragen. Er hat mich nicht gedrängt. Später hat er mir auch in die Hose gefasst und mich mit einem Finger befriedigt (ohne einzudringen). Das hat mir nicht ganz so gut gefallen, weil ich dann weniger selbst den Rhythmus bestimmen konnte und er auch nicht immer die richtige Stelle erwischt hat. Auch darüber konnte ich nicht sprechen. Wir haben überhaupt sehr wenig gesprochen. Ich hatte irgendwann die vage Sorge, dass er mit mir schlafen wollen könnte. Die Vorstellung hat mich komplett überfordert und mir schlaflose Nächte bereitet, und ich hab die Geschichte dann beendet, ohne dass wir je darüber geredet hätten. Da war ich schon 15. Auch mit meinen Freundinnen, die alle noch keine Freunde hatten, konnte ich über das Thema nicht sprechen.
Eigentlich war das für mich mein erster Sex. Ich hatte von 16 an dann etwa zwei Jahre lang eine “richtige” Beziehung mit einem älteren Jungen, der schon das Abi hatte und in der Stadt seinen Zivildienst machte. Die war aber nicht sehr sexuell. Wir haben oft beieinander übernachtet, unglaublich viel und offen miteinander geredet, auch über unseren verkorksten Sex. Wir haben schon auch ab und an rumgemacht, aber es gab keine große Anziehung oder sexuelle Spannung. Und das bisschen, was da war, haben wir erdrückt, weil wir viel zu viel darüber geredet haben. Eine ganz peinliche Situation entstand mal, als wir in Italien campen waren und aus dem Nachbarzelt lustvolle Geräusche kamen. Das war uns beiden unangenehm. So wie wenn man sich seines eigenen Atems überbewusst ist und die Luft anhält, wenn Sexszenen in einem Film kommen und man den nicht mit der richtigen Person schaut.
Ich hab damals die Pille genommen, aber es gab eigentlich gar keinen Anlass zur Verhütung.
Das erste Mal mit einem Mann geschlafen habe ich dann erst mit 18. Ich habe mich Hals über Kopf ganz heftig in den Freund eines Kumpels verliebt. Da war ich noch in meiner sexlosen Beziehung. Als ich ihn zum ersten Mal getroffen habe, war ich wie vom Donner gerührt. Er war acht Jahre älter als ich, hat 150 km entfernt Englisch und Sport studiert, American Football gespielt und dafür Krafttraining gemacht. Er ist Motorrad gefahren und immer in schwarzen Lederklamotten rumgelaufen. Er hatte lange Haare und gruselige Ringe an den Fingern und war auf eine Art, die ich noch nicht kennengelernt hatte, männlich. Zuerst hatte ich richtige Angst vor ihm und dem, was er in mir ausgelöst hat. Ich habe mich sehr zu ihm hingezogen gefühlt, aber wollte das nicht. Ich ging ihm eine Weile systematisch aus dem Weg. Das hat aber nicht funktioniert. Als er wieder mal übers Wochenende in der Gegend war, hab ich ihn angerufen auf dem Festnetzanschluss seiner Eltern und ihm gesagt, dass ich ihn treffen will. Wir haben in keinerlei Hinsicht zusammengepasst, aber irgendwas an ihm hat mich gleichzeitig abgeschreckt und massiv angezogen. Ich hab die Beziehung zu meinem Freund beendet, zur Verwunderung und zum Bedauern meiner Freundinnen und meiner Eltern. Den neuen fanden sie alle scheiße. Alles war schon auf emotionaler Ebene furchtbar leidenschaftlich. In der Übergangsphase konnte ich tagelang nichts essen und nicht mal richtig aus dem Bett aufstehen. Es war ein Drama. Wir haben dann beim zweiten oder dritten Treffen miteinander geschlafen. Das erste Mal und alle weiteren Male waren toll, weil das körperliche Erleben mit dem emotionalen sehr verschränkt war. Ich wollte nicht die Erfahrung, sondern ihn, und das wirklich sehr. Ich war zum ersten Mal richtig verliebt und beim Sex hab ich kein bisschen nachgedacht. Es war schön und sehr innig, und dabei weniger zärtlich und erotisch als heftig und leidenschaftlich. Einmal haben wir bei seinen Eltern im Eifer des Gefechts das Waschbecken aus der Wand gerissen. Wir haben es überall gemacht. Die Beziehung hat nur ein gutes halbes Jahr gehalten und unterm Strich würde ich sagen, dass wir wenig miteinander gesprochen und sehr, sehr viel miteinander geschlafen haben. Trotzdem waren wir uns auch emotional extrem nah. Wenn ich auf dem Klo saß, hat er oft im Stehen zwischen meinen Beinen durchgepinkelt, und das war für mich der Inbegriff von Intimität und Verbundenheit. Wir haben sexuell viel ausprobiert bzw. hat er mir viel gezeigt. Gekommen bin ich aber immer durch äußere Berührungen und nie beim penetrativen Verkehr selbst. Der war trotzdem toll und hat mich auf eine ganz andere Art befriedigt und irgendwie auch befreit. Es hatte eher was von Sport, und die Anspannung und Entspannung waren schön und neu für mich. Ich habe bei ihm auch etwas meine Scheu abgelegt und ab und an gerne seinen Schwanz angefasst und in den Mund genommen. Das ist alles ohne viel verbale Kommunikation passiert, sondern hat sich ganz natürlich ergeben.
Mit 19, mitten im großen Liebeskummer um diese erste große Liebe, hatte ich meine erste Affäre, und zwar mit einem guten Kumpel. Anfangs war ich etwas erschrocken über mich selbst und meine vermeintliche Abgebrühtheit, aber es hat sich gut angefühlt und war unkompliziert.
In den letzten 26 Jahren hatte ich 5 ernsthafte Beziehungen, etliche Affären und vereinzelte One Night Stands mit Männern.
Der Sex war mit jedem Mann ganz anders. Manchmal erotisch, manchmal leidenschaftlich, manchmal einfach nur unkompliziert, manchmal auch verkrampft und verklemmt. In manchen Beziehungen war er der einzige Kitt, in anderen total zweitrangig.
Bis ich meine Hemmungen und Unsicherheit in Bezug auf den Umgang mit dem männlichen Geschlechtsteil ablegen konnte, hat es viele Jahre und Begegnungen gedauert.
In meinen frühen Zwanzigern fiel es mir in Beziehungen immer noch schwer, aktiv zu sein und Männerschwänze selbstbewusst anzufassen oder gar in den Mund zu nehmen, weil ich so große Sorge hatte, dabei etwas falsch zu machen. Schwule Freunde haben es mir mit Bananen gezeigt und mir wieder und wieder technisch erklärt, was zu tun sei, aber ich war gehemmt und konnte das nicht überwinden. Ich habe mich immer eher hingegeben und auf meine eigene Lust konzentriert, und zu meinem Erstaunen waren die meisten Männer genau davon angetan und fasziniert, weshalb das kein großes Problem war und ich mich nicht weiter damit auseinandergesetzt habe. Im Rahmen von unverbindlicheren sexuellen Begegnungen, die ich später öfter auf geschäftlichen Auslandstrips hatte, fiel es mir leichter, Dinge auszuprobieren und ich habe durch diese Art von Begegnungen viel gelernt und an Selbstbewusstsein gewonnen.
Inzwischen berühre ich Männer richtig gerne, aber nicht aus einem Verpflichtungsgefühl heraus, sondern als Teil meiner Hingabe an die Situation oder Person.
Auffallend und ein bisschen traurig ist, dass bei mir das sexuelle Interesse an einem Gegenüber nach einiger Zeit und mit wachsender emotionaler Intimität bisher immer nachgelassen hat. Harmonische körperliche Nähe in Beziehungen hat mich immer irgendwann beklemmt. Das trat meistens so nach spätestens 2–3 Jahren ein und ich konnte mich dann tatsächlich nicht mehr auf Sex mit meinem jeweiligen Partner einlassen, weil ich Sex nur haben kann, wenn ich richtig Lust habe. Erste Anzeichen waren, dass ich mich nach dem Sex, vor allem nach einem Orgasmus, oft allein, verloren, nicht in meiner Mitte und wie abgeschnitten von meinem Partner, mir selbst und allem gefühlt habe, auch wenn es davor toll war. Das ist mir nur in vertrauten Beziehungen passiert, nie mit Männern, zu denen ich mehr Distanz hatte.
Da ich zwei sehr lange Beziehungen hatte, in denen ich treu sein wollte und war, gab es also auch sehr lange Phasen, in denen ich keinerlei Sex mit einem Gegenüber hatte. Das war für mich nicht furchtbar schlimm, denn ich hatte immer noch meine Sexualität mit mir. In solchen Phasen habe ich viel gelesen und meine Bedürfnisse in Phantasien ausgelebt. Für meine Partner war es hingegen schlimm. Eine Beziehung wurde deshalb beendet. Einem späteren Partner, der für mich sehr wichtig war (und immer noch ist, weil er der Vater meiner Tochter ist und wir sogar verheiratet waren), habe ich vorgeschlagen, dass wir unsere Beziehung öffnen und unsere Bedürfnisse mit anderen Partner/innen ausleben. Was eine Weile funktioniert hat, aber letztendlich grandios gescheitert ist, da er erstens sehr verletzt war von meinen außerehelichen Aktivitäten (und im Grunde genommen auch von dem Vorschlag an sich) und sich zweitens dann verliebt hat und fortan monogam in seiner neuen Beziehung leben wollte.
Ich habe vor 10 Jahren eine Tochter bekommen und das Muttersein und auch mein Beruf als Sozialarbeiterin machen mich sehr glücklich. Das ist meine Basis und nimmt den meisten Raum in meinem Alltag ein.
B) Trotzdem ist meine Sexualität ein wesentlicher Faktor in meinem Leben, der mich sehr erdet und ins Gleichgewicht bringt. Ausgelebt wird sie von mir in den letzten Jahren hauptsächlich in Phantasien. Ich lese immer noch sehr gern erotische Literatur oder Comics und habe dabei BDSM (nicht auf körperlicher, sondern eher auf psychologischer Ebene) für mich entdeckt. Der Film Secretary hat in mir wahre Glücksgefühle ausgelöst.
Auch auf theoretischer Ebene (psychologisch, sozialwissenschaftlich) beschäftige ich mich immer wieder gerne und ausführlich mit Texten über Sex und Liebe und Beziehungen. Der Themenkomplex interessiert mich einfach sehr.
Ich betrachte meine Sexualität gar nicht in erster Linie als etwas Zwischenmenschliches, sondern als etwas, das ich in mir trage und das nur mir gehört, wie ein Schatz. Etwas Schönes, sehr Privates, Intimes, aber dabei nicht besonders geheimnisvoll, sondern bodenständig, klar und verlässlich.
Ich leide seit meiner Jugend unter einer Angst- und Zwangsstörung. Meine Sexualität, auch die zwischenmenschliche, war davon nach der Pubertät immer ausgenommen. Ich habe sie als gesund erlebt und sie hat mir viel Halt gegeben.
Ich befriedige mich gerne, aber nicht so oft, selber. In manchen Phasen mehrmals am Tag, bei Stress manchmal wochenlang gar nicht. Meine körperliche Lust ist zyklusabhängig sehr schwankend. Anhand meiner Lust kann ich auch ohne Kalender genau sagen, an welchem Tag meines Zyklus ich mich befinde.
A) Meine realen (sexuellen) Beziehungen sind etwas kompliziert. Es gibt momentan 3 Männer in meinem Leben.
Mit dem Vater meiner Tochter führe ich eine sehr gute Elternpartnerschaft. Wir waren einmal sehr verliebt und ich würde sagen, ich liebe ihn noch immer mehr als jeden anderen Mann, aber wir haben schon seit vielen Jahren keine sexuelle Beziehung mehr. Wir teilen uns noch immer eine Wohnung (er kommt nur tagsüber zum Arbeiten, meine Tochter und ich wohnen hier) und verbringen viel sehr schöne Zeit im Alltag zusammen. Er hat seit ca. 4 Jahren eine neue Freundin.
Seit 3 Jahren habe ich einen Freund. Er ist 10 Jahre älter als ich, hat keine Kinder und möchte auch keine Familie mehr gründen. Er braucht viel Zeit für sich und ich viel Zeit für mein Kind, meine Arbeit und mich, und so sehen wir uns nur 1–2 x pro Woche. Wir unternehmen dann oft was gemeinsam mit meiner Tochter oder mit Freunden, aber ein Abend in der Woche gehört uns, dann gehen wir meist Essen und ich übernachte bei ihm. Wir teilen wenig Alltag, aber sprechen viel miteinander. Auch viel über uns, unsere Beziehung und unsere Beschränkungen. Der Sex ist gut, sehr sanft und erotisch, oft fassen wir uns stundenlang nur an, was mich sehr kickt, und mit ihm habe ich meine ersten “vaginalen” Orgasmen gehabt. Aber wir sind uns dabei nicht richtig nahe, das spüre ich ganz deutlich beim Küssen und auch beim Sex. Da fehlt eine Verbindung, die ich mit anderen schon erlebt habe und nach der ich mich oft sehne. Außerdem habe ich Angst, dass ich bald wieder an den Punkt gelange, an dem ich das Interesse und die Lust verliere, weil die Nähe und Vertrautheit trotz aller Alltagsdistanz zu groß werden. Erste Anzeichen gibt es.
Und dann gibt es noch einen Mann, mit dem ich seit inzwischen fast 8 Jahren eine ziemlich verlässliche Affäre habe. Über einen so langen Zeitraum hatte ich bisher noch nie mit jemandem Sex. Es fing total irrational an und ging immer so weiter. Am Anfang war ich noch in meiner alten Beziehung, inzwischen haben wir beide andere Partner. Teilweise hören wir über Wochen nicht voneinander, doch es zieht uns immer wieder zueinander hin. Wir haben uns im Laufe der Jahre sicher schon Millionen Textnachrichten auf allen möglichen Kanälen geschickt, meist mit sexuellem Inhalt. Zu körperlichem Sex kommt es nur ganz sporadisch, wenn wir gerade beide gleichzeitig mutig genug sind.
Und dann ist es jedes Mal sehr schön und gleichzeitig irgendwie erschütternd, so dass ich hinterher erst mal für ein paar Tage total durch den Wind bin. Es geht bei diesem Sex viel um Macht und Hingabe. Ich kann mich in unseren Momenten der Begegnung fallen lassen wie sonst nie. Das ist mir zuvor in keiner anderen Beziehung gelungen, und ich fürchte, es ist nur möglich, weil wir keinerlei Alltag miteinander leben und die Nähe nicht dauerhaft, sondern nur punktuell ist. Und vielleicht auch, weil es klare Scripts und Regeln gibt und wir sehr genau wissen, was der/die andere braucht und will. Er trägt ein Trauma in sich, das ich auch in meiner Familie vermute, das bindet mich vielleicht auch an ihn. Er erzählt nicht viel, aber je länger wir uns kennen, desto mehr. Früher war das noch nicht so. Er hat mich immer wieder stark an sich gezogen und dann wieder weit von sich weg gestoßen. Ich wollte sprechen und wollte ihn so sehr verstehen, er hat sich in Andeutungen verloren, wollte dann doch nicht reden und hat abgeblockt. Es war lange ein regelrechter Machtkampf auf emotionaler Ebene mit viel Streit und Frust und Verletzungen. Inzwischen reden wir immer klarer und ehrlicher miteinander über unsere Bedürfnisse, unsere Verletzungen, unseren Antrieb und unsere Beziehung, und die Machtspiele haben sich auf den Sex reduziert. Der Mann ist unmöglich, wir könnten niemals ein Paar sein. Aber beim Sex verschmelzen wir vollkommen, es ist zärtlich und innig und heftig und leidenschaftlich. Alles auf einmal. Ich fühle mich aufgehoben und sicher und verbunden und nicht allein. Es fühlt sich rundum gut und richtig an.
Es fühlt sich im Moment auch richtig an, meine verschiedenen Bedürfnisse mit verschiedenen Männern auszuleben. Alle drei wissen voneinander und sind froh, mir nicht für alles ein Gegenüber sein zu müssen.
Eigentlich halte ich dieses Modell auch für vernünftig und zukunftsfähig.
Gleichzeitig habe ich die Vermutung, dass dem ganzen komplizierten Konstrukt eine Unfähigkeit zugrunde liegt, die mich davon abhält, neue Erfahrungen zu machen und zu wachsen. Die Aufteilung meiner Bedürfnisse auf verschiedene Beziehungen gibt mir Stabilität und Sicherheit. Die Tatsachen, dass ich mich am wohlsten fühle ohne permanentes partnerschaftliches Gegenüber und dass ich nicht in der Lage bin, mich in einer emotional engen Beziehung weiter intim zu öffnen und fallen zu lassen, bringen mich aber schon oft zum Nachdenken. Ich fühle mich einfach mit niemandem so sicher wie wenn ich alleine und unabhängig bin. Und ich habe das Gefühl, dass ich einen Teil von mir schützen muss und nicht hergeben möchte, egal wie groß die Liebe ist. Und gleichzeitig auch, dass ich mein Liebesobjekt schützen muss, vielleicht vor der Abnutzung?
Ich frage mich, warum das so ist (und habe darauf auch einige Antworten, die sich aus meiner familiären Biographie, der seltsamen Bindung zu meiner Mutter und ihrer emotional oft sehr übergriffigen Art ergeben).
Und ich frage mich, ob das immer so bleiben muss oder ob ich die Chance habe, mit irgendeinem Menschen diesen Schritt weiter in eine emotional noch tiefere partnerschaftliche Beziehung und Intimität zu gehen.
Meine Tochter kam durch einen Kaiserschnitt zur Welt. Ich hatte nach einem Blasensprung an ET+10 über 36 Stunden lang eingeleitete Wehen und zu keinem Zeitpunkt einen Rückzugs- oder Entspannungsort geschweige denn professionelle Begleitung, weil der Kreißsaal vollkommen überfüllt und die Hebammen überlastet waren.
Zwei Jahre zuvor hatte ich eine frühe Fehlgeburt gehabt.
Beide o. g. Erlebnisse waren für mich traumatische Erfahrungen, mit denen ich mich aber intensiv auseinandergesetzt habe.
Ansonsten habe ich das große Glück und Privileg, in meinem Leben keine (bewussten) körperlichen Missbrauchserfahrungen gemacht zu haben.
Ich habe auch noch nie in meinem Leben mit einem Gegenüber Sex gehabt, obwohl ich eigentlich keine Lust hatte. Wenn ich bemerkt habe, dass ich nicht in der richtigen Verfassung bin oder mich nicht zu 100% sicher und überzeugt gefühlt habe, habe ich Sex immer abgebrochen und nie aus Höflichkeit weitergemacht.
Ich habe durchaus Übergriffe und grenzwertige Situationen in Bezug auf meinen Körper erlebt, die mich jedoch nicht sehr belastet haben. Mit 19 während meines ersten Jobs in einem Klamottenladen hat mich der Hausmeister beim Kartonzusammenfalten an der Altpapiertonne einmal von hinten an der Hüfte begrapscht. Das hat mich irgendwie gar nicht berührt. Wenige Jahre später war es mein Chef bei einem anderen Aushilfsjob, der mir im Keller beim Rausholen der Weihnachtsdeko scherzhaft an den Hintern gefasst hat und den ich daraufhin in Anwesenheit seiner Frau angeschrien habe (die hat ihn dann noch in Schutz genommen mit den Worten “So ist er halt.”). Das war alles in den späten 90er und frühen 2000er Jahren, also lange vor der MeToo-Debatte. Es gab für derlei Unerhörtheiten wenig (öffentliches) Bewusstsein.
Später waren es im Suff ein guter Freund, der mich bedrängt hat und stark beleidigt davon war, dass ich ihn abgelehnt habe, und 2 Fremde, die mich auf der Tanzfläche begrapscht bzw. auf offener Straße verbal belästigt haben. In den beiden letzten Fällen habe ich Ohrfeigen verteilt, ohne mir der Gefahr bewusst zu sein, in die ich mich damit vielleicht auch begeben habe. Ein recht sympathischer junger Mann hat sich in London mal nach einer Party bei einem Freund betrunken neben mich (ich schlief schon) ins Bett gelegt und angefangen, mich zu berühren. Ich wollte das nicht und hab es ihm gesagt. Ich konnte trotzdem die ganze Nacht entspannt neben ihm liegen bleiben und habe erholsam geschlafen. Meine Freundin konnte das damals gar nicht verstehen. Ich habe ihr beschrieben, dass ich mich in solchen Situationen ganz in mich selbst zurückziehen und meine Umgebung komplett ausblenden kann. Ich weiß nicht, ob das mit meinen Erfahrungen mit meiner grenzmissachtenden Mutter zu tun hat oder woher diese Fähigkeit kommt. Ich weiß auch nicht, ob ich die Fähigkeit als einen Schatz oder eher als Schwäche betrachten soll.
Vielleicht ist der Begriff Trauma zu groß, aber das, was meine Mutter während meiner Kindheit und Jugend auf emotionaler Ebene mit mir veranstaltet hat, hat schon nachhaltig meine Beziehungen zu anderen und mir selbst beeinflusst.