Was will ich eigentlich?
23. März 2025
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Splitterfasern 10: Schatz oder Schwäche?

1. Wie war die sexuelle Situation in deiner Familie? In was für ein kulturelles Umfeld wurdest du in Bezug auf Sexualität hineingeboren? Wie würdest du das Verhalten deiner Eltern in diesem Bereich beschreiben?

Meine Kind­heit hat in den 80er Jahren auf dem schwäbis­chen Dorf stattgefunden.

Auch meine Eltern sind auf dem Land bzw. in der Kle­in­stadt aufgewach­sen, haben in den späten 60er Jahren studiert und ich habe sie vorder­gründig als sehr lib­er­al wahrgenom­men. Alle Türen im Haus, auch die vom Bad, standen immer offen, Nack­t­sein (und auch vor­einan­der aufs Klo gehen) war etwas ganz Natür­lich­es. Mit Sex­u­al­ität habe ich das Nack­t­sein bis zu mein­er Pubertät nicht so sehr in Verbindung gebracht.

Mein Vater hat in jed­er freien Minute gele­sen. Es gab in unserem Haus wirk­lich sehr viele Büch­er aller Gen­res und immer viele Zeitun­gen und Zeitschriften. Im Bücher­re­gal waren auch Comics mit nack­ten Frauen und teil­weise expliz­it sex­uellen Inhal­ten (Pat Mal­let / U Comix) und natür­lich auch viel Lit­er­atur, in der es um Sex ging. Darin habe ich mich als Jugendliche, aber auch schon als Kind immer wieder vertieft.

Mein erster richtiger Fre­und hat halb bei uns gewohnt, als ich 16 war, und er durfte bei uns rauchen und sog­ar kif­f­en. Meine Mut­ter hat mich zum Fraue­narzt geschickt, um mir die Pille ver­schreiben zu lassen, aber über Sex und Gefüh­le gesprochen hat sie nie mit mir.

Ein­mal, da war ich vielle­icht 6, hat­te ich bei meinen Großel­tern nebe­nan über­nachtet und wollte früh­mor­gens meine Eltern über­raschen. Das hab ich dann auch. Meine Mut­ter saß nackt auf meinem Vater und ist auf und ab gehüpft, und das war für mich etwas selt­sam und ver­störend. Ich hab mich dann zurück­ge­zo­gen und sie haben aufge­hört und nach mir geschaut, aber mit mir über die Sit­u­a­tion gesprochen hat nie­mand. Sie haben ein­fach so getan, als sei nichts gewe­sen. Ich habe mich danach bedrückt gefühlt und auf eine unge­wohnte Art abgeschnit­ten. Auch als mal Kon­dome neben dem Ehe­bett lagen und meine Mut­ter mich dann (sehr nervös und verklemmt) darüber aufgek­lärt hat, wofür die da sind, hat mich das extrem befremdet und bedrückt zurück­ge­lassen. Ich hat­te das Gefühl, dass ich gle­ichzeit­ig zu viel und viel zu wenig erfahren hat­te, und irgend­wie hat­te das Gespräch nichts Natür­lich­es an sich.

Meine Eltern waren zwar nicht verklemmt, aber es war ihnen gle­ichzeit­ig sichtlich unan­genehm, über Sex zu sprechen. Zumin­d­est, wenn es nicht abstrakt war oder in Witz­form (das ging immer), son­dern wenn um sie selb­st ging. Generell wurde in unserem Haus nicht über Gefüh­le gesprochen, und meine Eltern erschienen mir deshalb trotz ein­er gewis­sen Ver­lässlichkeit (sie haben sich um mich geküm­mert) oft unerreichbar.

Viel Zeit habe ich im Nach­barhaus bei meinen Großel­tern ver­bracht. Dort habe ich am Woch­enende oft über­nachtet und unter der Woche fast jeden Tag zu Mit­tag gegessen. Wenn ich dort war, durfte ich am Fußende des Ehe­betts auf ein­er Matratze schlafen und meine Groß­mut­ter hat Geschicht­en von früher erzählt. Meine Großel­tern waren sehr evan­ge­lisch. Sie tru­gen lange Flanellschlafanzüge und ‑nachthem­den, haben im Win­ter umhäkelte Mess­ing­bet­tflaschen mit heißem Wass­er mit unter die Daunen­deck­en genom­men, weil man aus Sparsamkeit nicht alle Räume geheizt hat, und haben sich gegen­seit­ig “Vater” und “Mut­ter” genan­nt. Das war dort eine ganz andere Atmo­sphäre als bei meinen Eltern drüben. Mein Groß­vater war mit sich beschäftigt und lag viele Jahre lang nur auf dem Sofa ohne in Inter­ak­tion zu gehen. Ich denke, er ist als sehr junger Mann schw­er trau­ma­tisiert aus dem Krieg zurück­gekehrt und kon­nte nie darüber sprechen. Bei mein­er Groß­mut­ter, die immer am Schaf­fen und Werkeln war, war der Platz, an dem ich mich in mein­er Kind­heit am wohlsten und aufge­hoben­sten gefühlt habe. Auch wenn man mit ihr noch viel weniger über Gefüh­le und der­gle­ichen reden kon­nte als mit meinen Eltern. Aber bei ihr hat­te ich auch nicht das Bedürf­nis. Ihre Liebe und Für­sorge zeigte sich in Form von Pfannkuchen und Grießbrei und ver­lässlichen Regeln. Sie war irgend­wie präsen­ter und greif­bar­er als die anderen Erwach­se­nen und hat mir viel Halt gegeben.

Im Rück­blick sehe ich, dass meine Eltern sich sicher­lich ein gutes Stück aus den Zwän­gen ihrer Erziehung befre­it haben, dass sie aber nicht die Möglichkeit­en hat­ten (oder sie zumin­d­est nicht genutzt haben), sich tiefer mit sich selb­st, ihren Gefühlen, ihrer Herkun­ft, den Kriegser­fahrun­gen ihrer Eltern und ihren eige­nen Ver­strick­un­gen zu beschäftigen.

Auf intellek­tueller und poli­tis­ch­er Ebene, im Denken war vor allem mein bele­sen­er Vater immer offen und halb­wegs pro­gres­siv. Meine Mut­ter hat sich wenig mit irgendwelchen Zusam­men­hän­gen auseinan­derge­set­zt, hat aber immer eine bil­dungs­bürg­er­liche Hal­tung vor sich her­ge­tra­gen, die ein Stück weit auch dünkel­haft war (ständig musste man bess­er sein und sich abgren­zen: von den Neure­ichen, die im Ten­nis­club waren, von den Pietis­ten im Dorf, von Fam­i­lien mit klas­sis­ch­er Rol­lenaufteilung, von Haus­frauen, von Nicht-Akademik­ern, von Nach­barn die mal laut gestrit­ten haben, … ). Oft hab ich den Satz gehört: “Die sind kein Maßstab für uns”.

Auf emo­tionaler Ebene, in der Beschäf­ti­gung mit sich selb­st und im Zwis­chen­men­schlichen haben bei­de ver­mut­lich wenig Bil­dung erfahren und Hil­festel­lung in Anspruch genom­men, und da waren sie dann doch auch kon­ser­v­a­tiv­er als sie es ver­mut­lich sein woll­ten. Es kam z. B. trotz viel­er Prob­leme in ihrer mehr als 50 Jahre andauern­den und vor allem im Alter recht unglück­lichen Ehe nie zur Tren­nung, und zwar in allererster Lin­ie aus Respekt vor ihren eige­nen Eltern. Diese Diskrepanz zwis­chen Fortschrit­tlichkeit und Reak­tion­is­mus, die ich jet­zt erkenne, habe ich als Kind manch­mal gespürt und sie hat mich sehr bek­lom­men gemacht. Ich kann nicht genau beschreiben, was daran und warum. Aber ich glaube, es hat etwas damit zu tun, dass ich mich stark an ihnen und ihren Werten ori­en­tiert, sie aber auf manchen Ebe­nen als wider­sprüch­lich, sehr hil­f­los, unfrei und unerwach­sen wahrgenom­men habe.

Meine Mut­ter noch mehr als meinen Vater. Er war halt schweigsam und ratio­nal, aber hat trotz­dem Zunei­gung und starken Rück­halt aus­ges­trahlt, wenn auch nie (wirk­lich nie) aus­ge­sprochen. Sie war irgend­wie unzugänglich und stets mit sich oder ihrer Arbeit oder son­sti­gen Auf­gaben beschäftigt, die sie sich geschaf­fen hat. Mit meinen Fra­gen, Gefühlen und zahlre­ichen Äng­sten war sie heil­los über­fordert und hat jeglich­es tiefer­ge­hende Gespräch und somit auch die Chance auf Aus­tausch oder Nähe abge­blockt. Ich habe sie nie als müt­ter­lich wahrgenom­men. Gle­ichzeit­ig war sie sehr fordernd, hat viel Aufmerk­samkeit gebraucht und hat irgend­wie immer aus­ges­trahlt, dass sie selb­st bemut­tert wer­den muss, was ich dann auch oft getan habe. 

2. Hast du dich selbst erfreut/ befriedigt als Kind? Mit was für einem Gefühl hast du das getan? Wurdest du „erwischt“? Wie wurde reagiert?

Ich hab mich schon sehr früh (unge­fähr mit 7) regelmäßig und gerne befriedigt. Ich hab immer darauf geachtet, dass ich alleine war und nicht beobachtet wer­den kon­nte. Ich wollte meine Ruhe und das genießen. Das war für mich durch­weg schön und mit kein­er­lei schlechtem Gewis­sen oder Scham ver­bun­den. Ich hab mich rit­tlings auf die Sofalehne geset­zt oder mir ein Kissen oder in der Bade­wanne den Duschschlauch zwis­chen den Beinen hin- und herge­zo­gen. Einge­führt habe ich mir nichts, wed­er meine Fin­ger noch son­st etwas. Ich kam gar nicht auf die Idee, weil die äußer­liche Berührung schon so befriedi­gend war. Gerne hab ich meine Brust­warzen berührt, nach­dem ich fest­gestellt hat­te, dass das ein wun­der­bares Gefühl erzeugt, das direkt zwis­chen meinen Beinen ankommt.

Selb­st­be­friedi­gung hat mich entspan­nt und mir gut getan. Teil­weise war es rein kör­per­lich, manch­mal habe ich mir auch Szenar­ien vorgestellt, in denen meist unsym­pa­this­che Män­ner aus unser­er Nach­barschaft oder Lehrer vorka­men und mich beobachtet oder berührt haben. Es waren immer Szenar­ien, in denen ich ein pas­sives Sexob­jekt war. Das hat mich wahnsin­nig erregt, aber nach dem Orgas­mus hat es mich dann doch manch­mal pein­lich berührt.

Pen­e­tra­tiv­er Geschlechtsverkehr (und auch Penisse) kamen in meinen Phan­tasien nie vor, ich habe da gar keinen Zusam­men­hang hergestellt, bis es mir eine Fre­undin beim Dok­tor­spie­len erk­lärt hat. Und selb­st da und auch danach hat­te ich erst mal keine richtige Vorstel­lung davon und kein Inter­esse daran. 

Mit 12 hat­te ich eine Phase, in der ich viele Äng­ste und Zwangs­gedanken hat­te. Da hab ich mich auch mal in den Gedanken reingesteigert, dass Selb­st­be­friedi­gung was Schlimmes sein kön­nte. Ich hab meine Mut­ter darauf ange­sprochen in der Hoff­nung, eine beruhi­gende Antwort zu erhal­ten. Sie war sichtlich über­fordert und hat nervös geant­wortet, da müsse ich meinen Vater fra­gen, der würde sich da bess­er ausken­nen. Diese Antwort war für mich unbe­friedi­gend, ein wenig ver­störend und im Rück­blick habe ich sie ihr auf mehreren Ebe­nen übelgenom­men. Inzwis­chen befürchte ich, dass sie tat­säch­lich keine Antwort darauf wusste, weil sie die Erfahrung wom­öglich nie gemacht hat. Aber vielle­icht täusche ich mich auch.

3. Wer hat dich aufgeklärt?

Meine Mut­ter hat mich ziem­lich verklemmt aufgek­lärt, als ich schon längst alles wusste. Bei Fre­un­den gab es die Bra­vo, bei mein­er besten Fre­undin die Büch­er Zeig mal! und Zeig mal mehr!, worin ich mich immer wieder gerne ver­tieft habe.

Ich war mit dieser Fre­undin von meinem ersten Leben­s­jahr bis zum Abitur dick befre­un­det, aber über Sex unter­hal­ten haben wir uns nie. Auch mit meinen anderen Fre­undin­nen waren unsere Sex­u­al­ität und sex­uelle Erfahrun­gen, bis ich 18 oder 19 war, nie ein The­ma, über das wir uns aus­ge­tauscht haben.

4. Was für einen Eindruck hattest du in Bezug auf Sexualität, bevor du sie selbst erlebt hast?

Ich hab sehr gerne heim­lich Soft­pornos im Fernse­hen geschaut. Wir hat­ten kein Kabelfernse­hen, aber ich habe schon früh baby­ge­sit­tet, und bei den Fre­un­den mein­er Eltern gab es alle Sender und mir haben sich wun­der­bare Möglichkeit­en eröffnet, sobald die Kinder geschlafen haben. Ich war vielle­icht 12 und das hat mich unglaublich erregt. Vor allem nack­te Brüste, deshalb fand ich auch Tut­ti Frut­ti toll. Wom­it ich mich auch einge­hend beschäfti­gen kon­nte, waren die Pat Mal­let Büch­er mit den kleinen grü­nen Män­nchen aus dem Bücher­re­gal mein­er Eltern. Auch hier haben mich weniger die grü­nen Pim­mel als die Brüste der Frauen inter­essiert. Ich hab mir immer vorgestellt, es wären meine eige­nen und das hat mir gefallen. 

Langsam hat mir auch gedäm­mert, dass man den Penis in die Schei­de und ander­swo rein­steck­en kann, das war in den U‑Comix meines Vaters mehr als expliz­it dargestellt, aber inter­essiert oder angemacht hat es mich in dem Alter immer noch nicht. Das hat­te nichts mit meinen sex­uellen Phan­tasien zu tun, in denen es nach wie vor nur ums Ange­fasst- und Angeschautwer­den ging.

Die Sto­ries in den Pornos waren so bescheuert, dass mir schon klar war, dass es so nicht abläuft in der Realität.

Mit 8 oder so hat­te ich schon Ben liebt Anna von Peter Härtling und mit 10 oder 11 einige Jugend­büch­er von Chris­tine Nöstlinger gele­sen, in denen es auch um erste sex­uelle Erfahrun­gen ging, da hat­te ich eine leise Ahnung davon bekom­men, dass Gefüh­le und Sex­u­al­ität verknüpft sein kön­nen. Das fand ich aufregend!

Mit 14 hab ich sehr begeis­tert Salz auf unser­er Haut gele­sen und in der sel­ben Zeit den Film Der gezähmte Wider­spen­stige mit Adri­ano Celen­tano und Ornel­la Muti gese­hen. Bei­de Darstel­lun­gen von Beziehun­gen haben mich begeis­tert und vor allem emo­tion­al sehr berührt. Im Rück­blick denke ich, dass meine Vorstel­lung von lei­den­schaftlich­er Sex­u­al­ität, aber auch von lei­den­schaftlich­er Liebe sehr von Geschicht­en wie diesen geprägt wurden.

So mit 12 habe ich in ein­er herum­liegen­den Spiegel-Aus­gabe einen Artikel über sex­uellen Miss­brauch gele­sen, der mich sehr unan­genehm berührt und doch irgend­wie in seinen Bann gezo­gen hat. Etwa zeit­gle­ich sind mir Kurzgeschicht­en von Charles Bukows­ki in die Hände gefall­en, in denen Miss­brauch aus Täter­sicht beschrieben wurde. Das The­ma ging mir lange Zeit nicht mehr aus dem Kopf und hat mich sehr bedrückt. Als ich mit mein­er Mut­ter darüber reden wollte, hat sie abge­blockt. Ich habe in dem Alter dann vorüberge­hend eine sehr verklemmte Phase entwick­elt und Sex als etwas abso­lut Schlecht­es ein­ge­ord­net. Den Bere­ich kurz vor der Kasse im Super­markt kon­nte ich nur noch mit geschlosse­nen Augen durch­queren, weil da die Pra­line und andere Hefte mit nack­ten Frauen aus­la­gen. Ich wollte nicht über Sex nach­denken, aber habe in allem noch so Alltäglichen etwas Sex­uelles gese­hen, und diese Fix­ierung hat mich total gestresst. Ich habe kurzzeit­ig auch die zwang­hafte Vorstel­lung entwick­elt, dass auch ich sex­uell miss­braucht wor­den sein kön­nte und hat­te dabei andauernd andere Erwach­sene aus meinem Umfeld im Ver­dacht, was ich ein­mal mein­er Mut­ter anver­traut habe, die darauf nicht einge­gan­gen ist.

Zwangs­gedanken und Äng­ste in Bezug auf alle möglichen The­men sind mir ab diesem Zeit­punkt meine ganze Jugend über und noch in mein Erwach­seben­leben hinein erhal­ten geblieben, aber meine Sex­u­al­ität, die mir doch so lieb und teuer war, war nach dieser kurzen Episode zum Glück wieder frei davon.

Ich kann mir heute vorstellen, dass sex­ueller Miss­brauch in unser­er Fam­i­lie ein unaus­ge­sproch­enes und mit Trau­ma ver­bun­denes The­ma ist, kann das aber über­haupt nicht einord­nen und habe auch kein­er­lei konkrete Hin­weise darauf. Ich bin mir sich­er, dass ich keinen erlebt habe, aber das The­ma beschäftigt mich immer noch so stark. Ich lese viel darüber und habe das Gefühl, dadurch irgen­det­was durch­drin­gen zu wollen, was ich dif­fus wahrnehme.

5. Wie hast du die Veränderungen deines Körpers in der Pubertät erlebt und wie wurde darauf reagiert?

Ich habe rel­a­tiv früh, vielle­icht so mit 11, Achsel­haare und Schamhaare bekom­men. Das war mir irgend­wie pein­lich. Die einzi­gen Per­so­n­en, die das kom­men­tiert haben, und zwar ausgenom­men unsen­si­bel und über­grif­fig, waren im Garten eine Fre­undin, die noch keine hat­te, und im Bad im Ski­ho­tel meine Mut­ter, die belustigt bemerk­te, ich hätte ja schon mehr als sie. Bei­des war mir äußerst unan­genehm. Brüste hab ich erst später bekom­men. Ich kann mich nicht mehr daran erin­nern, wie ich das fand.

Generell war ich sehr dünn, was auch ständig besorgt von mein­er Mut­ter kom­men­tiert wurde (später dann nach der Pubertät war sie eben­so besorgt darüber, dass ich dick wurde). Ich habe mir keine Gedanken über mein Gewicht und meine Fig­ur gemacht.

Ich mochte meinen Kör­p­er gerne, hat­te aber nicht so eine richtige Beziehung zu ihm außer­halb der Selb­st­be­friedi­gung, da ich keinen Sport getrieben habe und eher verkopft und ständig mit Lesen und Zeich­nen beschäftigt war.

6. Wie war deine erste Menstruation und wie wurde sie von deiner Familie aufgenommen?

Ich hab mit 15 das erste Mal meine Tage bekom­men, aber so genau weiß ich das nicht mehr. Jeden­falls war ich deut­lich später dran als die meis­ten mein­er Fre­undin­nen und durch ihre Erfahrun­gen schon etwas darauf vor­bere­it­et. Meine Mut­ter hat mich prag­ma­tisch mit Hygien­e­pro­duk­ten aus­ges­tat­tet (Tam­pax mit Ein­führhil­fe) und mich nach ein paar Monat­en darauf hingewiesen, dass ich nicht jedes Mal nach dem Duschen die Handtüch­er ver­sauen, son­dern vor dem Abtrock­nen Klopa­pi­er benutzen soll, wenn ich men­stru­iere. Es war unspektakulär.

7. Wie waren deine ersten sexuellen Kontakte (intime Berührungen, Küsse etc.)

Mit 14 hat­te ich meinen ersten Fre­und. Er war 18, hat­te einen Führerschein und ich kan­nte ihn aus dem Schu­lorch­ester, wo er Pauke spielte und ich Cel­lo. Ver­liebt war ich nicht, aber neugierig. Und so hab ich die Chance ergrif­f­en, als sie sich bot und er sich für mich inter­essiert hat. Wir haben uns ein halbes Jahr lang getrof­fen und eigentlich nichts anderes zusam­men unter­nom­men als entwed­er bei mir oder bei ihm zu Hause rumgemacht. Meine Mut­ter war Lehrerin an der Grund­schule, seine am Gym­na­si­um, und sie kan­nten sich ent­fer­nt von der Arbeit. Deshalb und weil er so ein grund­vernün­ftiger Typ war, war es für meine Eltern ok, dass wir uns trafen, obwohl ich noch so jung war. Er kon­nte gut küssen und mich allein mit sein­er Zunge in meinem Mund extrem erre­gen. Jegliche Ini­tia­tive ging von ihm aus, ich war aber auch nicht direkt pas­siv, son­dern eher reak­tiv. Er hat mir über viele Monate (erst über dem einzi­gen BH, den ich hat­te und immer ange­zo­gen hab, und später auch darunter) unglaublich aus­dauernd die Nip­pel gestre­ichelt. Manch­mal ganz konzen­tri­ert, während wir uns geküsst haben, aber oft auch eher beiläu­fig beim Filmeschauen. Das war aufre­gend, hat mich sehr feucht gemacht und dabei bin ich regelmäßig gekom­men, teil­weise ohne jegliche weit­ere Berührung. Ich hab mich auch gerne ange­zo­gen auf ihn geset­zt und durch seine Jeans seine Erek­tion gespürt, an der ich mich gerieben habe. Auch so bin ich oft gekom­men. Ihn anz­u­fassen wäre mir nicht möglich gewe­sen. Ich hat­te große Sorge, etwas falsch zu machen und hab mich nicht getraut nachzufra­gen. Er hat mich nicht gedrängt. Später hat er mir auch in die Hose gefasst und mich mit einem Fin­ger befriedigt (ohne einzu­drin­gen). Das hat mir nicht ganz so gut gefall­en, weil ich dann weniger selb­st den Rhyth­mus bes­tim­men kon­nte und er auch nicht immer die richtige Stelle erwis­cht hat. Auch darüber kon­nte ich nicht sprechen. Wir haben über­haupt sehr wenig gesprochen. Ich hat­te irgend­wann die vage Sorge, dass er mit mir schlafen wollen kön­nte. Die Vorstel­lung hat mich kom­plett über­fordert und mir schlaflose Nächte bere­it­et, und ich hab die Geschichte dann been­det, ohne dass wir je darüber gere­det hät­ten. Da war ich schon 15. Auch mit meinen Fre­undin­nen, die alle noch keine Fre­unde hat­ten, kon­nte ich über das The­ma nicht sprechen.

8. Wie war das, was du für dich als den ersten “richtigen” Sex bezeichnest?

Eigentlich war das für mich mein erster Sex. Ich hat­te von 16 an dann etwa zwei Jahre lang eine “richtige” Beziehung mit einem älteren Jun­gen, der schon das Abi hat­te und in der Stadt seinen Zivil­dienst machte. Die war aber nicht sehr sex­uell. Wir haben oft beieinan­der über­nachtet, unglaublich viel und offen miteinan­der gere­det, auch über unseren verko­rk­sten Sex. Wir haben schon auch ab und an rumgemacht, aber es gab keine große Anziehung oder sex­uelle Span­nung. Und das biss­chen, was da war, haben wir erdrückt, weil wir viel zu viel darüber gere­det haben. Eine ganz pein­liche Sit­u­a­tion ent­stand mal, als wir in Ital­ien camp­en waren und aus dem Nach­barzelt lustvolle Geräusche kamen. Das war uns bei­den unan­genehm. So wie wenn man sich seines eige­nen Atems über­be­wusst ist und die Luft anhält, wenn Sexszenen in einem Film kom­men und man den nicht mit der richti­gen Per­son schaut.

Ich hab damals die Pille genom­men, aber es gab eigentlich gar keinen Anlass zur Verhütung.

Das erste Mal mit einem Mann geschlafen habe ich dann erst mit 18. Ich habe mich Hals über Kopf ganz heftig in den Fre­und eines Kumpels ver­liebt. Da war ich noch in mein­er sexlosen Beziehung. Als ich ihn zum ersten Mal getrof­fen habe, war ich wie vom Don­ner gerührt. Er war acht Jahre älter als ich, hat 150 km ent­fer­nt Englisch und Sport studiert, Amer­i­can Foot­ball gespielt und dafür Kraft­train­ing gemacht. Er ist Motor­rad gefahren und immer in schwarzen Led­erk­lam­ot­ten rumge­laufen. Er hat­te lange Haare und gruselige Ringe an den Fin­gern und war auf eine Art, die ich noch nicht ken­nen­gel­ernt hat­te, männlich. Zuerst hat­te ich richtige Angst vor ihm und dem, was er in mir aus­gelöst hat. Ich habe mich sehr zu ihm hinge­zo­gen gefühlt, aber wollte das nicht. Ich ging ihm eine Weile sys­tem­a­tisch aus dem Weg. Das hat aber nicht funk­tion­iert. Als er wieder mal übers Woch­enende in der Gegend war, hab ich ihn angerufen auf dem Fes­t­net­zan­schluss sein­er Eltern und ihm gesagt, dass ich ihn tre­f­fen will. Wir haben in kein­er­lei Hin­sicht zusam­mengepasst, aber irgend­was an ihm hat mich gle­ichzeit­ig abgeschreckt und mas­siv ange­zo­gen. Ich hab die Beziehung zu meinem  Fre­und been­det, zur Ver­wun­derung und zum Bedauern mein­er Fre­undin­nen und mein­er Eltern. Den neuen fan­den sie alle scheiße. Alles war schon auf emo­tionaler Ebene furcht­bar lei­den­schaftlich. In der Über­gangsphase kon­nte ich tage­lang nichts essen und nicht mal richtig aus dem Bett auf­ste­hen. Es war ein Dra­ma. Wir haben dann beim zweit­en oder drit­ten Tre­f­fen miteinan­der geschlafen. Das erste Mal und alle weit­eren Male waren toll, weil das kör­per­liche Erleben mit dem emo­tionalen sehr ver­schränkt war. Ich wollte nicht die Erfahrung, son­dern ihn, und das wirk­lich sehr. Ich war zum ersten Mal richtig ver­liebt und beim Sex hab ich kein biss­chen nachgedacht. Es war schön und sehr innig, und dabei weniger zärtlich und ero­tisch als heftig und lei­den­schaftlich. Ein­mal haben wir bei seinen Eltern im Eifer des Gefechts das Waschbeck­en aus der Wand geris­sen. Wir haben es über­all gemacht. Die Beziehung hat nur ein gutes halbes Jahr gehal­ten und unterm Strich würde ich sagen, dass wir wenig miteinan­der gesprochen und sehr, sehr viel miteinan­der geschlafen haben. Trotz­dem waren wir uns auch emo­tion­al extrem nah. Wenn ich auf dem Klo saß, hat er oft im Ste­hen zwis­chen meinen Beinen durchgepinkelt, und das war für mich der Inbe­griff von Intim­ität und Ver­bun­den­heit. Wir haben sex­uell viel aus­pro­biert bzw. hat er mir viel gezeigt. Gekom­men bin ich aber immer durch äußere Berührun­gen und nie beim pen­e­tra­tiv­en Verkehr selb­st. Der war trotz­dem toll und hat mich auf eine ganz andere Art befriedigt und irgend­wie auch befre­it. Es hat­te eher was von Sport, und die Anspan­nung und Entspan­nung waren schön und neu für mich. Ich habe bei ihm auch etwas meine Scheu abgelegt und ab und an gerne seinen Schwanz ange­fasst und in den Mund genom­men. Das ist alles ohne viel ver­bale Kom­mu­nika­tion passiert, son­dern hat sich ganz natür­lich ergeben.

9. Wie verlief deine sexuelle Biografie von da an?

Mit 19, mit­ten im großen Liebeskum­mer um diese erste große Liebe, hat­te ich meine erste Affäre, und zwar mit einem guten Kumpel. Anfangs war ich etwas erschrock­en über mich selb­st und meine ver­meintliche Abge­brühtheit, aber es hat sich gut ange­fühlt und war unkompliziert.

In den let­zten 26 Jahren hat­te ich 5 ern­sthafte Beziehun­gen, etliche Affären und vere­inzelte One Night Stands mit Männern.

Der Sex war mit jedem Mann ganz anders. Manch­mal ero­tisch, manch­mal lei­den­schaftlich, manch­mal ein­fach nur unkom­pliziert, manch­mal auch verkrampft und verklemmt. In manchen Beziehun­gen war er der einzige Kitt, in anderen total zweitrangig.

Bis ich meine Hem­mungen und Unsicher­heit in Bezug auf den Umgang mit dem männlichen Geschlecht­steil able­gen kon­nte, hat es viele Jahre und Begeg­nun­gen gedauert.

In meinen frühen Zwanzigern fiel es mir in Beziehun­gen immer noch schw­er, aktiv zu sein und Män­ner­schwänze selb­st­be­wusst anz­u­fassen oder gar in den Mund zu nehmen, weil ich so große Sorge hat­te, dabei etwas falsch zu machen. Schwule Fre­unde haben es mir mit Bana­nen gezeigt und mir wieder und wieder tech­nisch erk­lärt, was zu tun sei, aber ich war gehemmt und kon­nte das nicht über­winden. Ich habe mich immer eher hingegeben und auf meine eigene Lust konzen­tri­ert, und zu meinem Erstaunen waren die meis­ten Män­ner genau davon ange­tan und fasziniert, weshalb das kein großes Prob­lem war und ich mich nicht weit­er damit auseinan­derge­set­zt habe. Im Rah­men von unverbindlicheren sex­uellen Begeg­nun­gen, die ich später öfter auf geschäftlichen Aus­land­strips hat­te, fiel es mir leichter, Dinge auszupro­bieren und ich habe durch diese Art von Begeg­nun­gen viel gel­ernt und an Selb­st­be­wusst­sein gewonnen.

Inzwis­chen berühre ich Män­ner richtig gerne, aber nicht aus einem Verpflich­tungs­ge­fühl her­aus, son­dern als Teil mein­er Hingabe an die Sit­u­a­tion oder Person.

Auf­fal­l­end und ein biss­chen trau­rig ist, dass bei mir das sex­uelle Inter­esse an einem Gegenüber nach einiger Zeit und mit wach­sender emo­tionaler Intim­ität bish­er immer nachge­lassen hat. Har­monis­che kör­per­liche Nähe in Beziehun­gen hat mich immer irgend­wann bek­lemmt. Das trat meis­tens so nach spätestens 2–3 Jahren ein und ich kon­nte mich dann tat­säch­lich nicht mehr auf Sex mit meinem jew­eili­gen Part­ner ein­lassen, weil ich Sex nur haben kann, wenn ich richtig Lust habe. Erste Anze­ichen waren, dass ich mich nach dem Sex, vor allem nach einem Orgas­mus, oft allein, ver­loren, nicht in mein­er Mitte und wie abgeschnit­ten von meinem Part­ner, mir selb­st und allem gefühlt habe, auch wenn es davor toll war. Das ist mir nur in ver­traut­en Beziehun­gen passiert, nie mit Män­nern, zu denen ich mehr Dis­tanz hatte.

Da ich zwei sehr lange Beziehun­gen hat­te, in denen ich treu sein wollte und war, gab es also auch sehr lange Phasen, in denen ich kein­er­lei Sex mit einem Gegenüber hat­te. Das war für mich nicht furcht­bar schlimm, denn ich hat­te immer noch meine Sex­u­al­ität mit mir. In solchen Phasen habe ich viel gele­sen und meine Bedürfnisse in Phan­tasien aus­gelebt. Für meine Part­ner war es hinge­gen schlimm. Eine Beziehung wurde deshalb been­det. Einem späteren Part­ner, der für mich sehr wichtig war (und immer noch ist, weil er der Vater mein­er Tochter ist und wir sog­ar ver­heiratet waren), habe ich vorgeschla­gen, dass wir unsere Beziehung öff­nen und unsere Bedürfnisse mit anderen Partner/innen ausleben. Was eine Weile funk­tion­iert hat, aber let­z­tendlich grandios gescheit­ert ist, da er erstens sehr ver­let­zt war von meinen außere­he­lichen Aktiv­itäten (und im Grunde genom­men auch von dem Vorschlag an sich) und sich zweit­ens dann ver­liebt hat und for­t­an monogam in sein­er neuen Beziehung leben wollte.

10. Wie ist dein Stand im Moment? A) In sexuellen Beziehungen/ Kontakten B) In der sexuellen Selbstliebe.

Ich habe vor 10 Jahren eine Tochter bekom­men und das Mut­ter­sein und auch mein Beruf als Sozialar­bei­t­erin machen mich sehr glück­lich. Das ist meine Basis und nimmt den meis­ten Raum in meinem All­t­ag ein.

B) Trotz­dem ist meine Sex­u­al­ität ein wesentlich­er Fak­tor in meinem Leben, der mich sehr erdet und ins Gle­ichgewicht bringt. Aus­gelebt wird sie von mir in den let­zten Jahren haupt­säch­lich in Phan­tasien. Ich lese immer noch sehr gern ero­tis­che Lit­er­atur oder Comics und habe dabei BDSM (nicht auf kör­per­lich­er, son­dern eher auf psy­chol­o­gis­ch­er Ebene) für mich ent­deckt. Der Film Sec­re­tary hat in mir wahre Glücks­ge­füh­le ausgelöst.

Auch auf the­o­retis­ch­er Ebene (psy­chol­o­gisch, sozial­wis­senschaftlich) beschäftige ich mich immer wieder gerne und aus­führlich mit Tex­ten über Sex und Liebe und Beziehun­gen. Der The­menkom­plex inter­essiert mich ein­fach sehr.

Ich betra­chte meine Sex­u­al­ität gar nicht in erster Lin­ie als etwas Zwis­chen­men­schlich­es, son­dern als etwas, das ich in mir trage und das nur mir gehört, wie ein Schatz. Etwas Schönes, sehr Pri­vates, Intimes, aber dabei nicht beson­ders geheimnisvoll, son­dern boden­ständig, klar und verlässlich.

Ich lei­de seit mein­er Jugend unter ein­er Angst- und Zwangsstörung. Meine Sex­u­al­ität, auch die zwis­chen­men­schliche, war davon nach der Pubertät immer ausgenom­men. Ich habe sie als gesund erlebt und sie hat mir viel Halt gegeben.

Ich befriedi­ge mich gerne, aber nicht so oft, sel­ber. In manchen Phasen mehrmals am Tag, bei Stress manch­mal wochen­lang gar nicht. Meine kör­per­liche Lust ist zyk­lus­ab­hängig sehr schwank­end. Anhand mein­er Lust kann ich auch ohne Kalen­der genau sagen, an welchem Tag meines Zyk­lus ich mich befinde.

A) Meine realen (sex­uellen) Beziehun­gen sind etwas kom­pliziert. Es gibt momen­tan 3 Män­ner in meinem Leben. 

Mit dem Vater mein­er Tochter führe ich eine sehr gute Eltern­part­ner­schaft. Wir waren ein­mal sehr ver­liebt und ich würde sagen, ich liebe ihn noch immer mehr als jeden anderen Mann, aber wir haben schon seit vie­len Jahren keine sex­uelle Beziehung mehr. Wir teilen uns noch immer eine Woh­nung (er kommt nur tagsüber zum Arbeit­en, meine Tochter und ich wohnen hier) und ver­brin­gen viel sehr schöne Zeit im All­t­ag zusam­men. Er hat seit ca. 4 Jahren eine neue Freundin.

Seit 3 Jahren habe ich einen Fre­und. Er ist 10 Jahre älter als ich, hat keine Kinder und möchte auch keine Fam­i­lie mehr grün­den. Er braucht viel Zeit für sich und ich viel Zeit für mein Kind, meine Arbeit und mich, und so sehen wir uns nur 1–2 x pro Woche. Wir unternehmen dann oft was gemein­sam mit mein­er Tochter oder mit Fre­un­den, aber ein Abend in der Woche gehört uns, dann gehen wir meist Essen und ich über­nachte bei ihm. Wir teilen wenig All­t­ag, aber sprechen viel miteinan­der. Auch viel über uns, unsere Beziehung und unsere Beschränkun­gen. Der Sex ist gut, sehr san­ft und ero­tisch, oft fassen wir uns stun­den­lang nur an, was mich sehr kickt, und mit ihm habe ich meine ersten “vagi­nalen” Orgas­men gehabt. Aber wir sind uns dabei nicht richtig nahe, das spüre ich ganz deut­lich beim Küssen und auch beim Sex. Da fehlt eine Verbindung, die ich mit anderen schon erlebt habe und nach der ich mich oft sehne. Außer­dem habe ich Angst, dass ich bald wieder an den Punkt gelange, an dem ich das Inter­esse und die Lust ver­liere, weil die Nähe und Ver­trautheit trotz aller All­t­ags­dis­tanz zu groß wer­den. Erste Anze­ichen gibt es.

Und dann gibt es noch einen Mann, mit dem ich seit inzwis­chen fast 8 Jahren eine ziem­lich ver­lässliche Affäre habe. Über einen so lan­gen Zeitraum hat­te ich bish­er noch nie mit jeman­dem Sex. Es fing total irra­tional an und ging immer so weit­er. Am Anfang war ich noch in mein­er alten Beziehung, inzwis­chen haben wir bei­de andere Part­ner. Teil­weise hören wir über Wochen nicht voneinan­der, doch es zieht uns immer wieder zueinan­der hin. Wir haben uns im Laufe der Jahre sich­er schon Mil­lio­nen Textnachricht­en auf allen möglichen Kanälen geschickt, meist mit sex­uellem Inhalt. Zu kör­per­lichem Sex kommt es nur ganz spo­radisch, wenn wir ger­ade bei­de gle­ichzeit­ig mutig genug sind.

Und dann ist es jedes Mal sehr schön und gle­ichzeit­ig irgend­wie erschüt­ternd, so dass ich hin­ter­her erst mal für ein paar Tage total durch den Wind bin. Es geht bei diesem Sex viel um Macht und Hingabe. Ich kann mich in unseren Momenten der Begeg­nung fall­en lassen wie son­st nie. Das ist mir zuvor in kein­er anderen Beziehung gelun­gen, und ich fürchte, es ist nur möglich, weil wir kein­er­lei All­t­ag miteinan­der leben und die Nähe nicht dauer­haft, son­dern nur punk­tuell ist. Und vielle­icht auch, weil es klare Scripts und Regeln gibt und wir sehr genau wis­sen, was der/die andere braucht und will. Er trägt ein Trau­ma in sich, das ich auch in mein­er Fam­i­lie ver­mute, das bindet mich vielle­icht auch an ihn. Er erzählt nicht viel, aber je länger wir uns ken­nen, desto mehr. Früher war das noch nicht so. Er hat mich immer wieder stark an sich gezo­gen und dann wieder weit von sich weg gestoßen. Ich wollte sprechen und wollte ihn so sehr ver­ste­hen, er hat sich in Andeu­tun­gen ver­loren, wollte dann doch nicht reden und hat abge­blockt. Es war lange ein regel­rechter Machtkampf auf emo­tionaler Ebene mit viel Stre­it und Frust und Ver­let­zun­gen. Inzwis­chen reden wir immer klar­er und ehrlich­er miteinan­der über unsere Bedürfnisse, unsere Ver­let­zun­gen, unseren Antrieb und unsere Beziehung, und die Macht­spiele haben sich auf den Sex reduziert. Der Mann ist unmöglich, wir kön­nten niemals ein Paar sein. Aber beim Sex ver­schmelzen wir vol­lkom­men, es ist zärtlich und innig und heftig und lei­den­schaftlich. Alles auf ein­mal. Ich füh­le mich aufge­hoben und sich­er und ver­bun­den und nicht allein. Es fühlt sich run­dum gut und richtig an. 

Es fühlt sich im Moment auch richtig an, meine ver­schiede­nen Bedürfnisse mit ver­schiede­nen Män­nern auszuleben. Alle drei wis­sen voneinan­der und sind froh, mir nicht für alles ein Gegenüber sein zu müssen.

Eigentlich halte ich dieses Mod­ell auch für vernün­ftig und zukunftsfähig.

Gle­ichzeit­ig habe ich die Ver­mu­tung, dass dem ganzen kom­plizierten Kon­strukt eine Unfähigkeit zugrunde liegt, die mich davon abhält, neue Erfahrun­gen zu machen und zu wach­sen. Die Aufteilung mein­er Bedürfnisse auf ver­schiedene Beziehun­gen gibt mir Sta­bil­ität und Sicher­heit. Die Tat­sachen, dass ich mich am wohlsten füh­le ohne per­ma­nentes part­ner­schaftlich­es Gegenüber und dass ich nicht in der Lage bin, mich in ein­er emo­tion­al engen Beziehung weit­er intim zu öff­nen und fall­en zu lassen, brin­gen mich aber schon oft zum Nach­denken. Ich füh­le mich ein­fach mit nie­man­dem so sich­er wie wenn ich alleine und unab­hängig bin. Und ich habe das Gefühl, dass ich einen Teil von mir schützen muss und nicht hergeben möchte, egal wie groß die Liebe ist. Und gle­ichzeit­ig auch, dass ich mein Liebe­sob­jekt schützen muss, vielle­icht vor der Abnutzung?

Ich frage mich, warum das so ist (und habe darauf auch einige Antworten, die sich aus mein­er famil­iären Biogra­phie, der selt­samen Bindung zu mein­er Mut­ter und ihrer emo­tion­al oft sehr über­grif­fi­gen Art ergeben).

Und ich frage mich, ob das immer so bleiben muss oder ob ich die Chance habe, mit irgen­deinem Men­schen diesen Schritt weit­er in eine emo­tion­al noch tief­ere part­ner­schaftliche Beziehung und Intim­ität zu gehen.

11. Gab es Geburten? Wenn ja, wie liefen sie ab?

Meine Tochter kam durch einen Kaiser­schnitt zur Welt. Ich hat­te nach einem Blasen­sprung an ET+10 über 36 Stun­den lang ein­geleit­ete Wehen und zu keinem Zeit­punkt einen Rück­zugs- oder Entspan­nung­sort geschweige denn pro­fes­sionelle Begleitung, weil der Kreißsaal vol­lkom­men über­füllt und die Hebam­men über­lastet waren.

Zwei Jahre zuvor hat­te ich eine frühe Fehlge­burt gehabt.

12. Hast du Erfahrungen gemacht, die du für dich als traumatisch erlebt hast, z.B. Abtreibung, Vergewaltigung, Missbrauch, Operation, medizinischen Eingriff, Sonstiges?

Bei­de o. g. Erleb­nisse waren für mich trau­ma­tis­che Erfahrun­gen, mit denen ich mich aber inten­siv auseinan­derge­set­zt habe.

Anson­sten habe ich das große Glück und Priv­i­leg, in meinem Leben keine (bewussten) kör­per­lichen Miss­brauch­ser­fahrun­gen gemacht zu haben.

Ich habe auch noch nie in meinem Leben mit einem Gegenüber Sex gehabt, obwohl ich eigentlich keine Lust hat­te. Wenn ich bemerkt habe, dass ich nicht in der richti­gen Ver­fas­sung bin oder mich nicht zu 100% sich­er und überzeugt gefühlt habe, habe ich Sex immer abge­brochen und nie aus Höflichkeit weitergemacht. 

Ich habe dur­chaus Über­griffe und gren­zw­er­tige Sit­u­a­tio­nen in Bezug auf meinen Kör­p­er erlebt, die mich jedoch nicht sehr belastet haben. Mit 19 während meines ersten Jobs in einem Klam­ot­ten­laden hat mich der Haus­meis­ter beim Kar­tonzusam­men­fal­ten an der Alt­pa­pier­tonne ein­mal von hin­ten an der Hüfte begrap­scht. Das hat mich irgend­wie gar nicht berührt. Wenige Jahre später war es mein Chef bei einem anderen Aushil­f­sjob, der mir im Keller beim Raus­holen der Wei­h­nachts­deko scherzhaft an den Hin­tern gefasst hat und den ich daraufhin in Anwe­sen­heit sein­er Frau angeschrien habe (die hat ihn dann noch in Schutz genom­men mit den Worten “So ist er halt.”). Das war alles in den späten 90er und frühen 2000er Jahren, also lange vor der MeToo-Debat­te. Es gab für der­lei Uner­hörtheit­en wenig (öffentlich­es) Bewusstsein.

Später waren es im Suff ein guter Fre­und, der mich bedrängt hat und stark belei­digt davon war, dass ich ihn abgelehnt habe, und 2 Fremde, die mich auf der Tanzfläche begrap­scht bzw. auf offen­er Straße ver­bal belästigt haben. In den bei­den let­zten Fällen habe ich Ohrfeigen verteilt, ohne mir der Gefahr bewusst zu sein, in die ich mich damit vielle­icht auch begeben habe. Ein recht sym­pa­this­ch­er junger Mann hat sich in Lon­don mal nach ein­er Par­ty bei einem Fre­und betrunk­en neben mich (ich schlief schon) ins Bett gelegt und ange­fan­gen, mich zu berühren. Ich wollte das nicht und hab es ihm gesagt. Ich kon­nte trotz­dem die ganze Nacht entspan­nt neben ihm liegen bleiben und habe erhol­sam geschlafen. Meine Fre­undin kon­nte das damals gar nicht ver­ste­hen. Ich habe ihr beschrieben, dass ich mich in solchen Sit­u­a­tio­nen ganz in mich selb­st zurückziehen und meine Umge­bung kom­plett aus­blenden kann. Ich weiß nicht, ob das mit meinen Erfahrun­gen mit mein­er grenzmis­sach­t­en­den Mut­ter zu tun hat oder woher diese Fähigkeit kommt. Ich weiß auch nicht, ob ich die Fähigkeit als einen Schatz oder eher als Schwäche betra­cht­en soll.

Vielle­icht ist der Begriff Trau­ma zu groß, aber das, was meine Mut­ter während mein­er Kind­heit und Jugend auf emo­tionaler Ebene mit mir ver­anstal­tet hat, hat schon nach­haltig meine Beziehun­gen zu anderen und mir selb­st beeinflusst.