1. Wie war die sexuelle Situation in deiner Familie? In was für ein kulturelles Umfeld wurdest du in Bezug auf Sexualität hineingeboren? Wie würdest du das Verhalten deiner Eltern in diesem Bereich beschreiben?
Mein Vater hat meine Mutter vergöttert, aber seine Körperlichkeit ihr gegenüber beschränkte sich auf vorsichtige Küsse auf die Wange, ein über die Wange streicheln, eine zärtliche Umarmung. Das Wort ‘ehrfurchtsvoll’ beschreibt es sehr gut, es war so, als hätte er ein kleines Vögelchen in der Hand und wolle ihm nicht weh tun. Er benahm sich sehr wie ein liebendes Kind seiner Mutter gegenüber.
Meine Mutter war Autistin, von ihr ging keinerlei Initiative aus, Sex oder Körperlichkeit einzuleiten. Sie wirkte, als nähme sie Annäherungen entweder emotionslos, leicht angewidert oder genervt hin. Sie ließ es über sich ergehen, gab ich ihr als Kind einen Kuss oder umarmte sie, kam ich mir immer unerwünscht, störend und belästigend vor.
Meine Eltern waren Cousin und Cousine, das engste Verwandtschaftsverhältnis, dass für eine Ehe legal ist. Jetzt im Nachhinein assoziiere ich das mit Königshäusern, Pharaofamilien, Clans — dort wird ja auch oft so geheiratet, um ‘das Blut möglichst rein zu halten’ oder die Familie beisammen zu halten. Ich hatte keine Geschwister, meine Eltern stammten auch aus sehr kleinen Familien. Im Laufe der Zeit erkenne ich immer deutlicher, wie wichtig dieser Fakt in unserer Kleinstfamilie war. ‘Wir sind etwas besonderes, besser als der minderwertige Rest’ war eine Grundbotschaft, die von meiner Mutter ausging, von ihr immer gelebt und sogar oft laut ausgesprochen wurde. Intimität gab es immer nur von meinem Vater ausgehend und als ob die beiden Geschwister wären, sprich: es blieb bei fürsorglichen Umarmungen. Meine Mutter hat Körperlichkeit nie gesucht und immer nur ertragen und hingenommen.
Nun existiere ich ja als Beweis, dass es dann doch nicht nur Umarmungen waren. Mein Vater überfiel in unregelmäßigen Abständen so etwas wie werwolfhafter Hunger, der sich nicht mit sanften Küssen auf die Wange stillen ließ.
Ein paar Mal habe ich es durch die geschlossene Schlafzimmertür gehört. Stöhnen meines Vaters und keinen Pieps meiner Mutter. Beim ersten Mal hatte ich schon fast die Klinke in der Hand, wollte aufgeregt ins Schlafzimmer stürzen um zu erfahren, worunter mein Vater leidet, was seine Qualen auslöst.… Ich habe es nicht gemacht, weil das Stöhnen weniger wurde und mir das Ganze sehr mysteriös und irritierend vorkam. Auch die nächsten zwei oder drei Male hörte ich und verstand nicht, wusste aber, dass es so schlimm nicht sein könnte, denn trotz meines forschenden Blicks am nächsten Morgen waren keinerlei Hinweise auf Leiden oder Schmerzen zu finden. Insgesamt habe ich meine Eltern solange ich Kind war jedoch nur ganz selten gehört, dabei hätte ich reichlich Gelegenheit gehabt, weil ich sehr oft nachts durchs Haus schlich.
Ich war schon recht alt, vielleicht 13 oder sogar schon 15, als ich das Stöhnen nach langer Zeit wieder hörte und plötzlich begriff, dass mein Vater mit meiner Mutter schlief, sie Sex hatten. Ich stand wie erstarrt vor ihrer Tür und konnte es kaum glauben. Konnte nicht fassen, wie dumm ich die paar Male zuvor gewesen war, nicht zu verstehen. Dann breitete sich Ungläubigkeit aus, dass diese beiden Leute überhaupt Sex hatten. Ich lauschte intensiver, denn ich versuchte es vor meinen Augen sehen zu können, war aber unfähig dazu… meine Mutter? Meine Mutter ließ sich wahrhaftig durchficken? Das Wort ‘durchficken’ fehlte noch in meinem Wortschatz. Als ich vor der Tür stand, hatte der Satz ‘Meine Mutter ließ sich wahrhaftig .…’ ein Ende, dass aus einer Explosion aus meinen Phantasien bestand. Ich dachte mir wie ich vor mir sah wie meine Mutter völlig starr da lag und mein Vater sich nicht mehr gab, als hätte er ein kleines Vögelchen in der Hand. Meine Phantasien hatte alle mit Gewalt zu tun, mit Überwältigung. Es war die Zeit, da habe ich meine Mutter schon vernichtend gehasst. Ich fühlte Freude darüber, dass mein Vater diese unnahbare Frau endlich überwältigt, dass diese eisige Festung, die sie umgab, gebrochen wurde. Ich hasste meine Mutter, wollte sie wehrlos gegenüber den sexuellen Urkräften sehen, sie sollte leiden, bestraft werden dafür, dass sie so unnahbar war. Sollte erleben, dass das Meer des Lebens nicht nur lieblich dahinplätschert, sondern Sturm die wahre Lebendigkeit ist. Ich wollte, dass sie geschockt wäre. Ich lauschte, bis das Stöhnen versiegte. Danach gab es kein Wort zwischen den beiden, leichtes Knistern der Bettdecken, dann Stille, dann Schnarchen.
Hatte ich angenommen, dass nun neue Zeiten beginnen würden, dass nun endlich die eisige Herrschaft meiner Mutter überwunden wäre, täuschte ich mich selbstverständlich. Voller Hoffnung übersah ich, dass sie schon oft Sex hatten, und sich nie etwas änderte. Mein Vater gab sich, als schämte er sich für seinen Werwolf, meine Mutter als wäre nichts passiert als wären das nur ein paar nächtliche Alpträume. Ihre Regentschaft war sogar noch gefestigt, da mein Vater sich dadurch schuldig machte, seinen Werwolf nicht zu zähmen und in den Griff zu bekommen. Jeder Sex ließ meine Mutter reiner, erhabener, strahlender und überlegener und meinen Vater dreckiger, tierischer und würdeloser erscheinen.
Wütend war ich auf meinen schwachen Vater, aber ihm gegenüber auch voll Liebe. War er schwach, ich fühlte mich stark, wollte ihn beschützen vor meiner drachenhaften Mutter. Ich hätte gern gekämpft für ihn. Erste Ideen und Bilder im Kopf, ihm zu helfen, meine Mutter zu vergewaltigen oder den Part für ihn an seiner Stelle zu übernehmen, sie selbst zu vergewaltigen. Diese Phantasien scheinen dort entstanden zu sein. Aber bewusst war mir davon nur meine grenzenlose Liebe zu meinem Vater, der auf mich wie ein unschuldiges Kind wirkte, und mein unbändiger und glühender Hass auf meine Mutter.
Es gab noch einen zweiten sexuellen Strang in unserer Familie. Mein Vater war für meine Säuglingspflege hauptverantwortlich. Meine Mutter war Lehrerin und hat damit gutes Geld verdient.
Es kam niemals zur Sprache, aber im Laufe meiner langjährigen Therapie begriff ich, dass mein Vater mich als ich Säugling und Kleinkind war, missbraucht hat. Ein paar Erinnerungsfetzen sind erhalten. Sagte mein Vater zu mir ‘wir müssen dich noch eincremen’ legte ich mich nackt aufs Bett und streckte ihm meine gespreizten Beine in die Luft. Es gab keinen medizinischen Grund dafür, mir die Scheide einzucremen.
Als erwachsene Frau habe ich mir zusammengereimt, dass er einfach schwer bedürftig war und Gelegenheit bekam. Ich kämpfe mit meiner Haltung ihm gegenüber. Es gibt Teile in mir, die hassen ihn, Teile, die verachten ihn, anklagende Teile, Teile, die mich selbst hassen, verachten und anklagen aber es gibt auch verständnisvolle Teile. Da sind Teile in mir, die lieben meinen Vater so sehr, dass sie ihn gern versorgen und ihm das schenken würden, was er so dringend brauchte. Teile, die mich ihm schenken wollen. Und dann sind in mir auch Teile, die meinen Vater begehren, die gern ‘echten Sex’ mit ihm gehabt hätten.
2. Hast du dich selbst erfreut/ befriedigt als Kind? Mit was für einem Gefühl hast du das getan? Wurdest du „erwischt“? Wie wurde reagiert?
Ich hab mich täglich befriedigt, seit ich denken kann. Wir hatten ein Zweisitzersofa, auf dem ich lang ausgestreckt mit der Nuckelflasche lag und mich dabei befriedigt habe. Ich habe ganz viele Erinnerungen an Zeiten vor meinem dritten Lebensjahr. Das kann ich an einem Großvater ausmachen, der starb als ich dreieinhalb Jahre war und davor ein halbes Jahr im Pflegeheim verbrachte. Ich sehe ihn noch in der Wohnung meiner Großeltern wie er seine Pfeife stopft.
Ich glaube mir also diese alten Erinnerungen als ich zwei Jahre alt bin.
Mich zu befriedigen gehörte zum Morgenritual, es war ganz einfach angenehm, baute Stress ab und knüpfte sicher an die sexuellen Übergriffe an, die ich durch meinen Vater ausgesetzt war.
Ich wurde mehrfach dabei durch meine Mutter erwischt. Sie erklärte mir, dass ich das nicht machen dürfe, weil ich mir sonst meine Scheide wund reiben würde. Ich betrachtete meine rote Scheide, erschrak und hörte auf. Aber nur für einen Tag. Danach war das Bedürfnis nach dem wohlige Gefühl zu groß. Als meine Mutter mir nach dem nächsten Mal Erwischen wieder erklärte, dass ich mich wund reiben würde, wusste ich schon, dass sie lügt, wusste, dass die Röte nach der Erregung wieder verblasst und begann, mich während meiner Selbstbefriedigung zu verstecken. Das klappte gut, ich wurde nur ab und zu noch beinahe erwischt.
3. Wer hat dich aufgeklärt?
Vorwiegend Gespräche auf dem Schulhof, Angebereien, Getuschel, Satzfetzen, Freunde, die Zeitschrift Bravo, die bei mir zu Hause verboten war, ich aber bei Freunden las. Fakten kamen vom Sexualkundeunterricht in der Schule, einem Aufklärungsbuch, das meine Mutter mir schenkte. Sie log mir auch keine Märchen vom Storch vor, ich wusste immer, dass Babys von Mann und Frau gezeugt wurden.
Im Prinzip klärten mich meine offenen Augen und Ohren auf.
4. Was für einen Eindruck hattest du in Bezug auf Sexualität, bevor du sie selbst erlebt hast?
Ich habe immer schon Sexualität erlebt. Seit dem Wickeltisch.
Ich liebe und liebte immer schon den Rausch, die Lebendigkeit, das Prickeln, das Hinweggetragen-Werden, die andere Welt, die sich auftut. Ich liebe Sex.
5. Wie hast du die Veränderungen deines Körpers in der Pubertät erlebt und wie wurde darauf reagiert?
Als Kind wollte ich immer ein Junge sein. Das ‘So-Tun-Als-Wäre-Ich-Ein-Junge’ hörte auf, als meine Brüste wuchsen. Das fand ich erst sehr ärgerlich. Aber da ich völlig normal war, weder früh noch spät entwickelt, weder zu rund noch zu flach, wurde es ganz in Ordnung, und dann gut, denn ich war schnell in Jungs verliebt, das passte dann und war gut.
Meine Eltern thematisierten das alles nicht. Einzig, dass mir verboten wurde, nur noch mit Unterhose auf die Straße zu gehen, was wir bei uns im Dorf im Hochsommer alle taten (echt unvorstellbar heutzutage, das die Kinder in den 70er/ 80er Jahren bis sie etwa zehn waren draußen alle fast völlig nackt gespielt haben).
An meinem Vater merkte ich trotz der Sprachlosigkeit sehr wohl, dass ich zur Frau wurde. Er guckte gieriger, was mir ekelhaft wurde, er begann mir wie er es bei meiner Mutter tat über die Wange zu streicheln, was mich erstarren ließ, er schwor mir, wie sehr er mich lieben würde, dass er immer alles für mich tun würde, wenn er betrunken war, was mich wütend machte. Näherte sich mein Vater mir, gefror ich ein und ließ seine Berührungen, die nicht unsittlich und mir trotzdem ekelhaft waren, über mich ergehen und versuchte seine weinerlichen Liebesbekundungen nicht zu hören, die mich beschämten und aggressiv machten. Trotzdem liebte ich ihn sehr, war er ja auch die einzige Alternative zu meiner unnahbaren, eiskalten Mutter, die mir immer wie eine Sphinx vorkam, unter deren Blick man nicht bestehen konnte.
6. Wie war deine erste Menstruation und wie wurde sie von deiner Familie aufgenommen?
Ich wusste, dass es passieren würde, das war irgendwie kein großes Ding. Meine Mutter erzählte mir, dass sie selbst damals völlig erschrocken über ihre erste Blutung war und panisch zu ihrer Mutter gerannt wäre, weil sie dachte, sie wäre schwer krank. Das wollte sie mir ersparen und sagte mir recht früh, dass es normal wäre, wenn ich meine Tage bekäme.
Als es dann soweit war, sagte ich es meiner Mutter. Sie besorgte mir Binden und ganz furchtbare Unterhosen mit Plastikeinlage, damit nichts in die Hose gehen sollte. Ich schämte mich für diese Situation zu bluten, den Makel, weiblich zu sein und diese Probleme zu haben.… und auch für diese schrecklicheń Plastikunterhosen, die ich tatsächlich folgsam trug.
Grundsätzlich war Menstruation etwas geheimes bei uns. Die Umgebung sollte nicht mitbekommen, wann man seine Tage hatte, schon gar nicht Männer — das galt auch für meinen Vater.
Es war ein großer Schritt für mich, jetzt als erwachsene Frau meiner eigenen Familie nicht mehr zu verheimlichen, dass ich grade menstruiere. Vor allem ab und zu, wenn ich schlapp bin, offen mit meinen Kindern insbesondere auch meinen Söhnen zu sein und nicht Kopfschmerzen oder andere Krankheiten für eine Pause vorzuschieben. Aber ich finde es immer wichtiger, meinen Kindern vorzuleben, dass dies einfach zum Frau-Sein nicht nur dazu gehört sondern wundervoll ist. Ich wünschte, ich hätte sehr viel früher mehr über die spirituelle Dimension der Menstruation erfahren, mich als Mädchen und junge Frau mehr darüber gefreut, dass ich im Kreis mit all den Frauen stehe und verbunden bin dadurch, dass ich menstruiere.
7. Wie waren deine ersten sexuellen Kontakte (intime Berührungen, Küsse etc.)
Frei und ungezwungen war es am Anfang. Ich war früh an Jungs interessiert, hatte meinen ersten Freund, als ich 12 war. Ich war das erste Mädchen in der Klasse, die einen Freund hatte, und bin darauf immer noch merkwürdig stolz. Ich lächel über dieses Gefühl, den eigenen Wert anhand dieses Kriteriums zu bemessen. Aber in meiner Schulklasse galt ich damals nicht viel, durfte mich von zuhause aus nicht schminken, wurde von meiner Mutter in biedere Klamotten gesteckt, es tat unglaublich gut, trotzdem die erste mit Freund gewesen zu sein.
Wir hatten ein paar Jungen in der Klasse, die wegen Wiederholen älter waren, einer davon war mein erster Freund. Er war Grufti mit Totenkopf-Ringen und schwarzer Kutte auch im Sommer. Keiner konnte verstehen, dass wir ein Paar waren. Wir waren unglaublich verschieden. Ich total brav, schüchtern, eigentlich der Typ Mauerblümchen mit lauter völlig uncoolen Klamotten und er so auffällig. Zu Hause wären meine Eltern in Ohnmacht gefallen.
Wir trafen uns nur in einem Park vor der Schule. Das war ziemlich öffentlich, was uns aber ziemlich egal war. Wir scherten uns nicht drum, wenn jemand guckte.
Ich genoss die erste Körperlichkeit sehr, langsames Vorantasten, erst Händchenhalten, dann ein scheuer Kuss, dann Streicheln, Hände unter Pullover schieben, fühlen und spüren, inniger küssen. Es war unheimlich schön. Nach ein paar Wochen war schon wieder Schluss zwischen uns, ohne Streit und ohne Liebeskummer. Das war in meiner Clique ganz normal damals. Man blieb drei/vier Wochen zusammen, dann trennte man sich wieder. Ich war direkt danach mit einem anderen Jungen aus meiner Klasse zusammen. Ich bin daran völlig naiv gegangen, ohne nachzudenken. Aber für meine gesamte Klasse war ich danach für lange Zeit ein Flittchen. Dieses Gerede und Geläster über mich hat furchtbar Eindruck auf mich gemacht, mir wurde bewusst, dass man ‘’so etwas nicht macht”.
Nachträglich fühle ich mich wie ein Naturkind, nur dem folgend, was sich gut anfühlt, ohne Moral. Ich dachte, wenn man jemanden mag, dann wäre man mit ihm zusammen. Ganz unkompliziert. Ich war unvorbereitet auf die Welle, die mich traf und ziemlich geschockt und beschämt über die offene Ablehnung, das Getuschel über mich und die Lästereien. Aus dieser Scham heraus habe ich dann meine Beziehung zum zweiten Freund sofort beendet und lange Jahre jeglichen Freund verkniffen. Wie jede andere habe ich dann nur noch unerreichbare Jungs aus der Ferne angeschmachtet, das war gesellschaftlich akzeptiert.
Mich wunderte damals, dass es nicht nur die Mädchen waren, die mich Flittchen nannten, viele Jungs waren auch dabei und verzogen dabei angewidert das Gesicht, starrten mich andererseits aber auch an als ”die ist zu kriegen, bei der kann man’s probieren”. Verstanden habe ich es nicht, was an mir falsch war, aber ich hab mich fortan brav an die Spielregeln gehalten.
Im Geheimen war ich auch immer wieder heftig in Frauen verliebt, die manchmal 10 manchmal 20 Jahre älter als ich waren. Aber zusammen war ich nie mit einer Frau. Dabei hätte ich es gut gefunden, es hätte mich nicht beschämt. Ich fühle mich in der glücklichen Situation, mich für meine Leidenschaften oder durch meinen Sex noch nie geschämt zu haben. Jeder Schritt, den ich beim Thema Sex mache, fühlte sich so richtig an, dass es nicht falsch sein kann.
8. Wie war das, was du für dich als den ersten “richtigen” Sex bezeichnest?
Ich war dann schon 19 Jahre alt, als ich zum ersten Mal Sex hatte. Ich war mit meinem Freund, schon ein paar Wochen zusammen. Wir waren verliebt und mochten uns sehr. Nackt gekuschelt und berührt hatten wir uns schon öfter, es war eine echte Entscheidung.… beim nächsten Mal versuchen wir es.…
Es ist schön, dass es für und beide das erste Mal war. Ich wollte es sehr, hatte dann aber plötzlich doch große Angst als wir beide zusammen beschlossen: Jetzt. Jetzt!. Ich wollte aber nicht mehr zurückziehen und dann irgendwie zickig oder blöd wirken. So fragte mein Freund mich, ob ich mir sicher wäre, ob ich es wirklich wollen würde, und ich sagte ‘ja’, trotz Angst, trotz zurückziehen wollen, trotz Bedenken. Ich wollte diesen großen Schritt endlich tun, wollte endlich in den Club derer, die Sex hatten, viel zu spät, dachte ich, erst mit 19 .…schäme dich!.…
Es war nur ein paar Minuten kurz und schmerzhaft und nicht schön. Mein Freund war erschrocken, ich war erschrocken, wir fanden es beide furchtbar. Aber ich war ‘entjungfert’. Mir tat ein paar Tage alles weh. Ich war sehr ernüchtert.
Mein Freund kam dann und fragte, ob wir es noch einmal versuchen könnten, alle sagten, es wäre so schön.… Und ich kannte Sex ja gut aus all den Jahren meiner Selbstbefriedigung und wusste, wie sehr erfüllend er für mich ist.
Und das zweite und die folgenden Male machte es uns beiden Spaß, der Druck war weg und wir tasteten uns immer weiter vor.
9. Wie verlief deine sexuelle Biografie von da an?
Die Beziehung zu meinem ersten Freund war eine dauernde On/Off-Beziehung, er hat unsere Beziehung fünf oder sechs Mal gelöst und wieder aufgenommen. Irgendwann habe ich dann Schluss gemacht, und das war dann endgültig.
Danach habe ich mich in einen Freund verliebt, der katholischer Priester werden wollte. Ich habe ihn so vehement angeschmachtet, dass es ihn erweicht bzw. wohl wahrscheinlich eher völlig überrannt hat. Er wohnte in einem Wohnhaus für angehende Priester, Damenbesuch war bis 21:00 h gestattet — immerhin.… Ich bin nachts auf Strümpfen aus seinem Zimmer herausgeschlichen. Zweimal ist das passiert, wir haben nicht miteinander geschlafen — nur fast. Ich habe ihn nie wieder gesehen. Ob er Priester geworden ist? Ich weiß nur, dass er danach kräftig Zweifel hatte. Ich liebte die Rolle der Femme fatale.
Dann war ich auf einer Reise nach Tansania heftig in eine Frau verliebt. Sie wohl auch in mich. Wir hatten eine Busfahrt, auf der wir uns nahe gekommen sind, stundenlang aneinander angelehnt und Händchen gehalten haben. Ich wollte eindeutig mehr. Aber eine Woche nachdem ich aus Afrika zurück war, starb durch einen tragischen Unfall meine Mutter. Dadurch verloren wir uns dann aus den Augen.
Nach dem Tod meiner Mutter habe ich mich in Sex gestürzt, ich war mit dem größten Schürzenjäger in meiner Umgebung zusammen. Ich fand ihn ganz süß, ich war sicher seine hundertste Freundin. Das war mir aber ganz egal. Mit ihm war Sex reiner Spaß und Vergessen von Tod und Schmerz. Es war wild mit ihm, Sex ohne Liebe. Mit ihm hatte ich zum ersten Mal Analsex. Das fand ich spannend, weil es mir fast die Sinne raubte. Es war Sex, der Schmerzen bereitete, genau das richtige, um mir den Boden unter den Füßen wegzuziehen. Analsex ist für mich krasser Sex, super intensiv, super fokussiert, ganz heftig zentriert. Nicht wirklich schön sondern echt, pur, nah, heftig. So, dass mir der Atem stockt, so, dass ich das Gefühl habe Panik zu bekommen, überfordert zu sein, es nicht zu schaffen. Und dann geht es doch, dann halte ich es doch aus, bin völlig übererregt, muss darauf achten, nicht zu hyperventilieren. Das gefällt mir, dass der Kopf nichts mehr denken kann. Meinen Höhepunkt habe ich erst, wenn der Penis wieder meinen Anus verlassen hat, in der Entspannung, das ist irgendwie irre.
Und dann begegnete ich auf einer Party meinem jetzigen Mann. In ihn habe ich mich gleich sofort und total verliebt. Noch in der Nacht ließ ich den Schürzenjäger sitzen, sagte ihm, dass es aus sei. Er war überrascht, kam aber gut darüber hinweg. Mit meinem Mann wollte ich zusammen sein. Wir haben uns noch zweimal getroffen, sind dann ein Paar geworden und haben sofort miteinander geschlafen.
Wir passten sexuell unglaublich gut zusammen. Er ist ein unglaublich guter Liebhaber. Wir mögen es beide intensiv und hart. Die ersten Jahre war unser Sex gesund rau. Wir schliefen nachts im Park miteinander, in einem Fluss in Frankreich, an öffentlichen Plätzen. Wir hatten mehrmals täglich Sex. Wir hatten viel Sex, bei dem ich gefesselt war, bei dem er mich fotografierte, meine Yoni filmte. Wir probierten gerne vieles aus. Dildos und Brustwarzen-Klemmen. Es war uns nie langweilig. Ich stehe auf mäßige Schmerzen, er darauf, mich hart anzufassen.
Dann hatten wir harte Zeiten in unserer Partnerschaft. Viele Jahre standen wir dort vor einem Scherbenhaufen. Trotzdem hatten wir noch Sex, der aber immer härter wurde. Es war Sex im Streit, Sex, der Machtverhältnisse klären sollte, Sex, der wie Krieg war. Er überreizte mich, meine Klitoris, meine Brustwarzen. Ich bettelte darum, hart gefickt zu werden. Ich hatte Vergewaltigungsphantasien. In mir spaltete ich mich in einen Opferteil und einen Täterteil auf. Ich liebte großes Drama, mein Opferteil bettelte darum, dass er aufhören sollte, dass er weniger grob sein sollte, ich winselte und jammerte ‘Nein, bitte nicht!’, mein Täterteil wollte es mehr und noch härter, wollte es ganz heftig und immer noch mehr. Ich wollte bis zur Besinnungslosigkeit genommen werden. Ich lernte, abzuspritzen, was meinen Mann aber auch mich anmachte. Ich träumte von Bondage, ich las SM-Geschichten, schrieb Pornos. Ich befriedigte mich täglich mehrfach in einem gigantischen Rausch. Aber tiefe Befriedigung fand ich immer seltener, die Vergewaltigungsphantasien wurden immer härter und krasser. Ich träumte davon, von dutzenden Männern nacheinander gefickt zu werden. Ich träumte davon, wie Dreck behandelt zu werden, mich selbst zu vergewaltigen, von meinem Vater vergewaltigt zu werden. Ich sah ihn vor meinem inneren Auge stehen und provozierte ihn ‘Los! Tu es endlich! Du traust Dich nicht? Schau zu! Ich zeig Dir wie man es machen muss!’
Diese Phase der zunehmenden Gewalt dauerte gewiss drei Jahre. Im realen Sex mit meinem Mann hatte ich zwar einen Höhepunkt nach dem anderen, man hätte Hardcore-Pornos bei uns drehen können, aber die Höhepunkte waren leer, wie ausgesaugt. Ich fand nur wenig Befriedigung. Oft war meine Yoni wund und ich immer noch erregt. Es halfen nur die in meiner Gedankenwelt stattfindenden Vergewaltigungsexzesse, Selbstbefriedigung, Erniedrigung und Zusammenbrüche, bei denen ich mich wie am Boden zertrümmert vorkam.
Zu dem Zeitpunkt war ich schon in Therapie. Aber meinen Sex hat es nicht berührt, gemildert oder besänftigt. Meine Therapeutin liebe ich, sie hat mich so oft vor dem Selbstmord gerettet, hat mir in so vielem so gut geholfen. Ich finde, sie leistet großartige Arbeit aber mein Sex änderte sich nicht. Es war mittlerweile so schlimm, dass ich ein bis zwei Wochen brauchte, um aus diesen Erregungszuständen wieder herauszufinden, und jedes Mal fühlte es sich an, als hätte ich diese ganzen Phantasien grade so eben überlebt.
Und dann kam ich zu Hanna. Sie hat mich da raus gezogen, es ging recht schnell. Ich war wie überreif, ich war so unendlich bereit dafür, dass sich etwas ändert. Ich hatte Angst davor erregt zu werden. Ich erinnere mich genau, als Hanna mir die Beckenschaukel erklärte und zunächst sagte, dass die Übung gut sei, um mit Erregung zu spielen, dass ich mich erst weigern wollte und heftig Angst hatte. Aber glücklicher Weise wirkt die Beckenschaukel bei mir auch hervorragend, um die Erregung zu besänftigen und bot mir somit eine unendlich bessere Alternative zu dem was war.
10. Wie ist dein Stand im Moment? A) In sexuellen Beziehungen/ Kontakten B) In der sexuellen Selbstliebe.
Ich lebe weiterhin mit meinem Mann zusammen. Das letzte Mal haben wir etwa vor einem halben Jahr miteinander geschlafen. Wir waren ein paar Mal miteinander im Bett, aber in mir ist nun ein Stopp. Ich kann meine Yoni, meinen gesamten Unterkörper nicht von ihm berühren lassen. Das erzeugt Flucht- und Verteidigungsimpulse bei mir. Ich will meine Yoni beschützen, sie ist mir kostbar geworden. Ich würde versuchen, ihm die Hand abzubeißen, würde er sie begrabschen. Im Moment funktioniert es aber, dass ich ihn befriedige. Damit habe ich keine Probleme.
Mich selbst kann ich im Moment nur ganz extrem selten befriedigen. Es ist oft so, dass ich Lust empfinde, Sex haben will, ich genieße die ersten Berührungen, dann kommt Traurigkeit, sofort darauf Angst, Erstarrung und innerhalb von Sekunden ist der Genuss zu Abwehr, tiefem Unbehagen, Ekel, Wut und Aggression geworden. Meine Yoni will sich auch durch meine Hände nicht berühren lassen, sehnt sich aber ganz enorm nach jemanden, der sie hält, richtig berührt und versteht.
Nur ganz selten ist das Bedürfnis so groß, dass ich mich über die Furcht meiner Yoni hinwegsetze, mich weiter berühre und zu einem schnellen, erlösenden Höhepunkt komme.
In einer Vision sah ich mich selbst in einer hallenartigen Höhle stehen, in einiger Entfernung von mir eine Gruppe Männer, die im Flackern eines Lagerfeuers zwischen uns nicht genau auszumachen waren. Ich fühlte mich wie eine Kriegerin und ein Satz tauchte in meinem Bewusstsein auf ‘Die tun mir nichts mehr!’
Seitdem habe ich nie wieder den Wunsch gehabt, vergewaltigt zu werden. Mich können diese Phantasien noch sehr erregen und berauschen, wenn ich sie so aufschreibe wie jetzt grade, doch seit dieser Vision, die ich bei Hanna hatte, will ich das nicht mehr ausleben, kein Verlangen mehr danach, mich vergewaltigen zu lassen.
11. Gab es Geburten? Wenn ja, wie liefen sie ab?
Ich habe drei Kinder auf die Welt gebracht. Alle Kinder kamen ohne Hilfsmittel auf die Welt. Ich brauchte auch keine PDA. Ich war mir bei allen Geburten sehr sicher, hätte sie am liebsten ganz alleine auf die Welt gebracht. Aber dadurch, dass ich selbst bei meiner eigenen Geburt fast gestorben wäre, weil ich die Nabelschnur mehrfach um den Hals gewickelt hatte — neunmal, wie mein Vater immer gnadenlos übertrieb — wollte ich meine Kinder lieber doch an einem Ort zur Welt bringen, an dem auch notfalls ein Kaiserschnitt gemacht werden hätte können.
Bei den ersten beiden Geburten wurde ein Dammschnitt gemacht, bei der dritten riss der Damm von alleine ein. Das erste und das dritte Kind zur Welt zu bringen war hart, schmerzhaft und beide Male zu schnell. Die zweite Geburt war dagegen ein echter Genuss. Ich merkte, wie wir beide zusammenarbeiteten, das Kind und ich. Ich hatte echte Pausen zum Erholen und dann kam mein Sohn ganz sachte und vorsichtig aber beständig zur Welt. Das war wunderschön.
12. Hast du Erfahrungen gemacht, die du für dich als traumatisch erlebt hast, z.B. Abtreibung, Vergewaltigung, Missbrauch, Operation, medizinischen Eingriff, Sonstiges?
Darüber habe ich ja schon oben sehr ausführlich geschrieben. Unabhängig davon sind Frauen so oft Übergriffen ausgesetzt. Das ist entsetzlich. Dass Frauen immer noch vorsichtig und misstrauisch sein müssen, dass Frauen sich nicht frei bewegen können… Daran müssen wir alle kontinuierlich arbeiten, dass unsere Kinder nicht die Rollenbilder und das Verhalten, die Zwänge und Ängste übernehmen, die wir noch vorleben und in uns tragen.
“Splitterfasern” sind ein Blog, in dem Menschen anonym Texte zu ihrer sexuellen Biografie hochladen.
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