Stand im Moment:
Leben — das setzt ja auch den Rahmen für Sexualität.
Ich bin seit 2 Jahren getrennt. Die zwei Jahre davor waren bereits schwierig und ich habe viel versucht, die Beziehung noch zu retten, so dass die Trennung für mich keine Katastrophe, sondern befreiend ist. Mein Alltag ist geprägt von der Verantwortung für meine zwei Kinder, 13 und 4 Jahre, in Kombi mit einem herausfordernden Beruf, der super spannend ist, aber auch fordert und harte Arbeitszeiten mit sich bringt. Hier in diesem Land ist Vollzeit Standard, daher gibt es gute Kinderbetreuung, ich arbeite 75%. Aber alles in allem bleibts anstrengend, von Mo. bis Fr. alleine für die Kinder und das Haus und den Beruf verantwortlich zu sein.
Ich vermisse ein wenig Verrückheit und Spass und Sex.
Seit letztem Jahr möchte ich sexuell wieder auf Entdeckung gehen, habe Lust auf Sex und Berührung und seit Mai schaue ich wieder rechts und links und steige langsam, mit Worten und bisher ohne Taten, in Online-Dating ein. Jetzt zur Zeit hätte ich Lust auf Sexualität ohne eine klassische feste Beziehung — da verlässt mich grad die Sprache, denn jeglicher Sex ist ja ein in Beziehung treten. Ich habs online so formuliert:
“Lightness, laughter, feelings and respect. Reaching out. Finding out. Discovering. Daring. Having a good time, from time to time. No, that doesn’t translate into different sex partners on a daily basis. Nor does it exclude occasional sex. Just that I am in this stage not into that whole “forever after and a house on top” and really looking forward to occasionally having a great time together.”
Ich bin eine selbstbewusste, sexpositive Feministin, hetero. Gerade das Feministin-sein hat meine Sexualität, Körperwahrnehmung, Beziehungsleben stark geprägt und beeinflusst.
Jetzt:
Ich bin bei mir, in dem was ich tue und bin. Ich mag mich und meinen Körper. Je nach Zyklus hab ich 2–5x die Woche Lust auf Selbstbefriedigung.
Ich hab Lust auf Sex, bin aber wählerisch und möchte lieber gut hinschauen und in Dialog gehen bevor ich mit wem-auch-immer sexuell aktiv werde. Will sgen: Einfach in der Bar mit irgendjemandem angetrunken nach Hause: Nee. Ein Online-Date treffen, reden, dann ins Bett, joah, why not. Ein Wochenende mit sexpositiven Menschen, z.B. Tantra und mit unterschiedlichen Leuten Sex haben — why not. Lieber Zeit lassen, nichts überstürzen, es eilt nicht.
Körper:
Ich mag mich. Ich mag meinen Körper. Ich bin nicht der Mensch, der ewig einen auf Selbstoptimierung macht, andere Beine, Bauch, Brüste will. Ich bewege mich gerne. Mein Körper funktioniert super gut — und ich erwarte das irgendwie auch von ihm und widme ihm wenig Aufmerksamkeit.
Ich habe eine ausgeprägte Körperwahrnehmung — das merke ich, wenn ich bei der Osteopathin oder Masseurin bin und auch feinste Feinheiten spüre und platzieren kann.
Berührungen im Alltag:
Kuscheln mit den Kindern. Mindestens 1x im Monat Massage bei der Physiotherapeutin, Behandlung bei der Osteopathin — zum Stressabbau, für den Rücken, aber auch für Berührung.
Gesundheitlich habe ich zur Zeit eine frauentypische Baustelle: Beckenboden und Blaseninkontinenz. Ich will in Ruhe raus finden, warum sie da ist, was die Auslöser sind und was es für Wege gibt, sie zu behandeln. Eine leichte Inkontinenz habe ich seit Kindertagen. Verstärkt nach den zwei Geburten und je nach Zyklustagen. Das wurde stets nur auf “schwacher Beckenboden” und “mach mal brav Übungen” reduziert. Nee. Glaub ich nicht so ganz.
Beckenboden und Muskulatur könnte besser sein. Hat aber nie negative Auswirkungen bei Sex gehabt oder in irgendeiner Form, die ich wahrgenommen hätte, meine Sexualität oder Orgasmen beeinflusst.
Ich habe bewusst mein Leben lang nicht hormonell verhütet. Zunächst Kondome/ Diaphragma, dann Kupferspirale/ Kupferkette. Ein kurzer Ausflug zur Hormonspirale und in diese Lebensphase fiel eine Depression/ Burnout, weswegen ich danach weiter konsequent hormonfrei unterwegs bin.
Zwei Kinder.
Beides klinisch als “schwere” Geburten gelabelt, aber als selbstbestimmt erlebt. ***1 Zangengeburt, großer (gut verheilter) Dammschnitt, angebrochener Steiss. ***2 zuerst natürlich probiert, dann Kaiserschnitt (wg. nach innen verknöchertem Steiss). Eine frühe Fehlgeburt (ca Woche 6), einen Abbruch.
Keine Gewalterfahrungen in puncto Sexualität. Die “üblichen” Übergriffe, die so gut wie alle Frauen erleben. Wenn auch nur selten — unerwünschte Hand auf dem Arsch, ältere Kinder, die uns befummelt haben.
Geschichte / Familie:
Ich bin bis in die Pubertät Einzelkind einer alleinerziehenden Mutter gewesen. Ein kleiner, eng auf sich bezogener Frauenhaushalt. Sexualität war/ ist wenig präsent in meiner protestantischen Mittelklasse-Familie. In meiner Elterngeneration war es ein Tabu, darüber zu reden. Davon hat meine Mutter versucht, sich zu befreien, aber Sexualität war selten bei uns ein Thema. Da wir so eng aufeinander angewiesen waren, habe ich nicht gerne von ihr gelernt, insofern habe ich sie zu Sexualität nicht gefragt.
Mein biologischer Vater ist seit Kleinkindzeiten nicht präsent gewesen.
Meine Mutter hatte Beziehungen, die ich als Kind “aus dem Augenwinkel” erlebt habe, bevor sie vor 30 Jahren ihren heutigen Mann kennen gelernt hat, den ich sehr schätze. (Männliche) Vorbilder und Mentoren habe ich v.a. in den 18–30jährigen Teamern meiner kirchlichen Kinderfreizeiten gefunden. Dort habe ich den herzlichen Umgang, der uns in unserem Selbstbewusstsein gestärkt und Ernst genommen hat, sehr geschätzt. Es war eine offene und respektvolle Jugendarbeit, auch in puncto Sexualität, nicht körperfeindlich oder sexablehnend (wie es das bei Kirchens ja auch gibt).
Ich habe mich selbst aufgeklärt und zwar mit der 80er Jahre feministischen Literatur meiner Mutter. Von da habe ich insbesondere mitgenommen, nicht “gefällig” zu sein, sondern auf meine Bedürfnisse zu achten und sie zu respektieren — etwas, das mich bis heute auf allen Ebenen meines Lebens begleitet. 😉 Daraus gezogen habe ich z.B. bereits als Teenie das Wissen, dass Frauen jenseits von Penetration Orgasmen erleben, Klitoris, non-hetero Sex, Selbstbefriedigung, etc.
Ich habe Selbstbefriedigung aus einem dieser Buch gelernt, mit ca 13 Jahren, zunächst in der Badewanne/ Dusche und später auch einfach im Bett, mit Hand.
Ich bin/ war eher langsam in meiner sexuellen Entwicklung, habe mir auch Zeit gelassen. Als Teenie nur wenig ausprobiert — meist einseitig verliebt, ohne das äußern/ zeigen zu können. Mit 17 Jahren eine erste Beziehung mit viel Zärtlichkeit und Petting, aber wenig zielgerichtet auf Sex, mehr auf Körperentdeckung. 1–2 Urlaubsromanzen. Mit 19 Jahren eine spannende Affäre mit intensivem sexuellen Erleben. Mir war es aber wichtig, dass Penetrations-Sex so statt findet, dass ich es auch bewusst will und es in einem Setting ist, das mir passt — und nicht nur dem Gegenüber. Das hat diesen Partner frustriert, was er auch äußerte — rückblickend mit einer unmöglichen Ansage „Ja soll ich mir das alles durch die Rippen schwitzen“. Im Studium dann noch weitere kurze Beziehungen oder Affären. Der erste penetrative Sex dann entspannt frischverliebt, als ich 21 war — rückblickend wäre es fair gewesen, den Partner auch zu informieren, dass es das erste Mal war — schön war es aber trotzdem und die folgende sexuelle Beziehung mit ihm fröhlich, verspielt, entdeckerisch.
In den 20er Jahren dann weniger als ein halbes Dutzend sexuelle Beziehungen. In der Erinnerung war ich die meiste Zeit Single. Drei gute bereichernde Beziehungen, jeweils 1–2 Jahren mit gutem gegenseitigem sexuellen Entdecken. 2–3 Friends with Benefits mit gutem entspannten Sex. Tendenziell klassischer Sex, mit viel Vorspiel, verspielt, kuschelig. Auch mal entdeckerisch — anal habe ich probiert, weil es mich in meinen Phantasien interessiert hat, in Realität aber nicht. Sex war fast immer mit Orgasmen für mich, einer oder viele, je nach Situation. Je nach Phase der Verliebtheiten 1–5x/ Woche, wenn in einer Beziehung.
Dann 16 Jahre mit dem Vater meiner Kinder in einer Partnerschaft. Zu unseren großen Stärken gehörte, dass wir uns viele viele Jahre sehr viel Zärtlichkeit im täglichen Umgang bewahrt haben. Wir hatten guten Sex, wenn auch weniger als ich mir öfter gewünscht hätte — er sagt von sich selbst, dass er einen eher geringen Sexualtrieb hat. Während der Beziehungskrisen vor sechs und die letzten zwei Jahre wenig bis gar kein Sex und/ oder Berührung. Wenn Sex, dann lustorientiert, klassisch. Eine spannende gute Phase des Sex nach der Geburt meiner Tochter, die mich damals überrascht hat und gut tat. Er hat sich in den letzten Jahren “an die Wand gedrückt” gefühlt, nachdem die Kinder kamen, miese Arbeitsmarkterfahrungen gemacht, dann nichtarbeitendes Elternteil gewesen. In seinen Bedürfnissen negiert gefühlt, hintenan gestellt. Unsere Kommunikation ist über lange Phasen zusammen gebrochen. Schweigend nebeneinander im gleichen Bett geschlafen — das ist das Bild.
Ich bin ein paar Jahre nicht mehr verliebt gewesen. Familienbedingt auch einfach nicht offen gewesen für neue Menschen, sondern nicht rechts und links geschaut. Lese gerne Sexblogs. Übe mich darin, mich stärker nach außen zu öffnen, mehr zu spüren, Sexualität wieder neu zu entdecken. Bin mir sicher, dass ich am Beginn einer spannenden neuen Phase stehe.
Genieße es jetzt, frei und verrückt zu daten. Wenn mir jemand gefällt, es zu zeigen. Sex zu genießen. Bei schlechtem Sex oder Ignoranz meiner Bedürfnisse freundlich gelassen auf die Tür zu weisen. Wenn ich Lust habe — und davon habe ich überraschend viel — sofort Sex zu genießen. Offen, verspielt und mit viel Vergnügen und Lachen.
“Splitterfasern” sind ein Blog, in dem Menschen anonym Texte zu ihrer sexuellen Biografie hochladen.
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